Im Rollstuhl ans Konzert im Casino Bern
Es braucht mehr als nur Rampen, Rollstuhlplätze und Behindertentoiletten, um Menschen im Rollstuhl ein angenehmes Erlebnis zu bieten. Das hat uns der Konzert-Besuch von Jon Batiste im Kultur-Casino Bern leider sehr deutlich vor Augen geführt.
Auf dieses Konzert hatten wir uns schon lange gefreut. Jon Batiste ist ein US-amerikanischer Musiker und Komponist, der neben vielen anderen Auszeichnungen einen Oscar für seine Musik im Pixar-Film «Soul» erhielt. Und es ist unser erster Konzert-Besuch im Kultur-Casino Bern. Fünfeinhalb Jahre ist es her, dass wir das damals frisch renovierte Gebäude am Tag der offenen Tür angeschaut hatten. Damals erhielten wir insgesamt einen guten Eindruck, auch nachdem mehrere kleine Mängel behoben wurden, die wir festgestellt und gemeldet hatten.
Wir treffen im Casino ein und gehen am Lift vorbei, denn die Ticket-Kontrolle befindet sich weiter hinten in Richtung Treppe. Der etwas griesgrämige Billetkontrolleur verweist auf den Lift und wendet sich dann der nächsten Person zu. Auf dem Weg zum Lift ist ein Durchkommen schwierig. Die Leute bleiben im Weg stehen. Das erleben wir immer nur in der Schweiz und fast nie im Ausland: Dort ist es teilweise nicht mal nötig, dass jemand aus einer Gruppe oder teilweise auch fremde Menschen die anderen auf den nahenden Rollstuhl hinweisen oder zur Seite ziehen. Viele Leute machen einen Schritt aus dem Weg wie mit einem sechsten Sinn, selbst wenn wir uns von hinten nähern.
Und wohin jetzt? Der Kontrolleur hat nicht gesagt, in welchem Obergeschoss sich unsere Plätze befinden. Wir fahren also mit den zwei amerikanischen Besuchern in den zweiten Stock und folgen den Leuten. «Hier oben gibt es keine Rollstuhlplätze», sagt uns die Mitarbeiterin an der Türe. Okay, das wäre sicher auch in einem anderen Tonfall möglich gewesen. Dann muss es wohl doch der erste Stock sein – das erfahren wir nämlich auch von ihr nicht.
Aha, hier stehen nicht nur Leute für die Toiletten an, sondern es geht auch zum Saal. Eine Konzertbesucherin wirft sich theatralisch und mit seitlich ausgestreckten Armen an die Wand, als wir ihr entgegenkommen. Auch solche Szenen erleben wir immer nur in der Schweiz. Im Ausland gehen die Leute einfach zur Seite, ohne daraus ein Drama zu machen – genauso wie sie auch Menschen ohne Rollstuhl ausweichen würden. Der Platzanweiser an der Türe schickt uns zur gegenüberliegenden Seite der Sitzreihe. Unsere Plätze befänden sich in der zweiten Reihe vor dem Gang, ganz aussen, sagt er. Na gut, es ist auch nicht nötig, dass uns jemand zum Platz begleitet und zum rechten schaut, wie das im Ausland fast immer der Fall ist.
In der richtigen Reihe angekommen wundern wir uns: Hier stehen zwei normale Stühle. Gebucht hatten wir – und wir vergewissern uns auf den Tickets nochmals – einen Rollstuhlplatz und einmal Begleitperson. Die Stühle in der Reihe sind miteinander verbunden, wenn auch eher lose. Was nun? Auf den Stuhl transferieren möchten wir eigentlich nicht, aber im nicht gerade sehr breiten Seitengang ist der Rollstuhl im Weg. Daran würde sich auch nicht viel ändern, wenn der Rollstuhl ohne Fahrerin dort steht. Wir bleiben also einfach mal so hier. Bis wir eine Viertelstunde später von hinten angesprochen werden – was man bei Menschen im Rollstuhl nie tun soll. Es ist der Platzanweiser von vorhin. «Welche Plätze haben Sie?», fragt er vorwurfsvoll. Und fügt an: «Das geht so nicht mit dem Rollstuhl», als wir auf die beiden Sitzplätze deuten. Das hatten wir ja auch schon gedacht. Wir bitten ihn, den äusseren Stuhl mitzunehmen, und platzieren hier den Rollstuhl. Wäre es ein grösserer elektrischer Rollstuhl, würde das die Beinfreiheit der Person hinter uns ziemlich einschränken. Ob das ein idealer Ort für einen Rollstuhlplatz ist?
Wir warten auf den Konzertbeginn – mit einer Viertelstunde Verspätung – und schwitzen. Wieso ist es hier so unglaublich heiss? Ganz offensichtlich gibt es keine Klimaanlage. Die scheint wohl nur im Ausland zum Standard eines Konzertsaals zu gehören; die Burgergemeinde Bern kann sich das wohl nicht leisten. Draussen sind es 30 Grad, aber hier drinnen ist es noch heisser. Und stickig, obwohl alle Leute erst gerade eingetroffen sind. Viele falten das Programm oder ein anderes Papier zum Fächer, oder haben schon vorsorglich einen mitgenommen.
Dann beginnt das Konzert, aber wir haben Mühe, es zu geniessen. Daran ist nicht nur die Hitze schuld. Meine Platznachbarin steht während der Vorführung mehrmals auf, um das Konzert zu filmen. Natürlich trotz der vielen «Bild- und Tonaufnahmen während der Aufführung sind verboten»-Schilder. Und noch häufiger schaut sie auf ihren Handy-Bildschirm, bei dem die Helligkeit voll aufgedreht sein muss. Noch einen Schritt weiter geht die Frau neben ihr. Sie macht Handy-Fotos mit Blitz, der lange leuchtet. Während sich die Leute vor ihr umdrehen und ihr böse Blicke zuwerfen, ist das Ganze den Platzanweisern egal. So machen dann auch andere Leute fleissig Fotos und Videos. Anstand und Respekt vor dem Künstler, den anderen Konzertbesuchenden und den Hausregeln scheint hierzulande fremd zu sein.
In der Pause gehen wir nach Hause. Es ist uns beiden viel zu heiss. Unmöglich, uns so auf die schöne Musik zu konzentrieren.
Schade. Während wir im Ausland liebend gerne Theatervorführungen, Konzerte, Musicals und andere Veranstaltungen besuchen, sind solche Besuche in der Schweiz allzu oft eine Qual. Das hat uns der heutige Konzertbesuch wieder bestätigt. Und das, obwohl hier im Kultur-Casino Rampen, Rollstuhlplätze und Behindertentoiletten vorhanden sind. Solange den Ticketkontrollierenden und Platzanweisenden niemand beibringt, wie sie mit Menschen im Rollstuhl – oder einfach generell mit Menschen! – sprechen sollen, und wenn die Besuchenden keinen minimalen Anstand lernen, wird sich daran auch nichts ändern.
Fazit: In den Sommermonaten raten wir vom Veranstaltungsbesuch im Kultur-Casino Bern ab, und zwar auch Menschen ohne Rollstuhl.