Rückkehr an den Arbeitsplatz trotz Coronavirus-Gefahr

Angesichts des Rückgangs der Neuansteckungen hat der Bundesrat am 19. Juni 2020 eine weitere Lockerung der Coronavirus-Massnahmen beschlossen. Dabei hat er den Schutz der besonders gefährdeten Personen, die bisher in der COVID-19-Verordnung 2 vorgeschrieben war, ersatzlos gestrichen. Damit setzt er die Risikogruppen nun bewusst dem Risiko aus, vor dem er sie zuvor um (fast) jeden Preis bewahren wollte. Anstecken plötzlich erlaubt. Was können besonders gefährdete Personen nun tun?

Lange nicht alle Menschen im Rollstuhl gehören zur Risikogruppe. Einige aber schon – sei es wegen einer Krankheit, wegen der sie auf den Rollstuhl angewiesen sind, oder aufgrund eines anderen Risikofaktors. Da sie im Falle einer Ansteckung mit dem Coronavirus besonders gefährdet sind, hatte der Bundesrat sie arbeitsrechtlich besonders geschützt. Ihre Arbeitgebenden mussten sie im Home-Office arbeiten lassen und ihnen, falls das nicht möglich war, eine andere Arbeit zuteilen, besondere Schutzmassnahmen treffen oder sie ansonsten bei voller Bezahlung von der Arbeit entbinden. Ziel dieser behördlichen Regelung war es, eine Ansteckung der besonders gefährdeten Personen zu verhindern.

Mit der Aufhebung des Schutzes hat der Bundesrat nun eine 180°-Kehrtwende vollzogen: Besonders gefährdete Personen sollen nicht mehr vor einer Ansteckung geschützt werden, sondern man schaut dann halt mal, ob und wie man sie behandeln kann, falls sie sich anstecken. Sowieso schiebt der Bund nun die Verantwortung auf die Kantone ab.

Selbstvertändlich bleiben besonders gefährdete Personen weiterhin besonders gefährdet. Dass ihr Schutz aufgehoben wurde, ändert nichts an dieser Tatsache. Und auch wenn die Ansteckungszahlen gesunken sind: Das Ansteckungsrisiko besteht weiterhin und stellt eine reelle Gefahr für die Risikogruppen dar. Deshalb ist es unverständlich, dass ihr Schutz aufgehoben wurde und nun nur noch eine «Empfehlung» gilt für Home-Office, genauso wie für das Tragen von Schutzmasken. Hier geben sich die Behörden absolut realitätsfremd. Schaut man nach draussen, so sieht man fast niemanden, der eine Maske trägt oder Abstand zu anderen Personen hält. Fotos wie vom überfüllten Strand in England könnten genauso gut in der Schweiz geschossen werden.

Riskante Rückkehr an den Arbeitsplatz

Und – kaum verwunderlich – verlangt nun auch meine Arbeitgeberin, vom Home-Office wieder an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Dies im vollen Wissen um unsere Situation, also dass meine Frau im Rollstuhl zur Risikogruppe gehört (wir mussten bereits eine ärztliche Bestätigung einreichen) und im Alltag in vielen Belangen auf meine Hilfe als betreuender Angehöriger angewiesen ist. Dass betreuende Angehörige viel zu wenig geschützt waren, gibt mittlerweile auch das BAG zu. Man habe sich das notiert, um es bei einer zukünftigen Pandemie besser zu machen. Na bravo.

Jedenfalls muss ich ab Juli an zwei Tagen pro Woche wieder ins Büro, wie es auch für meine Kolleginnen und Kollegen gilt, die nicht zur Risikogruppe gehören oder jemanden der Risikogruppe betreuen. Die Direktorin hat festgelegt, dass ich jeweils am Montag und Mittwoch im Büro sein muss. Zwar könne ich am Mittwoch im Einzelbüro einer Kollegin arbeiten, die dann nicht da ist, aber am Montag müsse ich den Tag zusammen mit zwei Kollegen in unserem Gemeinschaftsbüro verbringen. Der Mindestabstand von 1.5 Metern wird dabei gerade knapp eingehalten. Es gäbe aber ein Sicherheitskonzept, weshalb ich mir keine Sorgen machen müsse. Dieses beschränkt sich jedoch darauf, dass gemeinsam benutzte Geräte nun 1x pro Tag statt 1x pro Woche gereinigt werden, dass jeder eine kleine Flasche Desinfektionsmittel erhalten hat, und dass man in der gemeinsamen Pause den Abstand einhalten soll. Anders als andere Arbeitgebende werden bei uns keine Plexiglasscheiben als Schutz zwischen den Mitarbeitenden aufgestellt oder sonstige Vorkehrungen getroffen. Die Direktorin erwartet auch, dass ich dann an Sitzungen und Besprechungen teilnehme. Vom ursprünglichen Verständnis für unsere Situation ist nicht mehr viel übrig.

Rechtlich gesehen sind Arbeitnehmende den Arbeitgebenden ausgeliefert. Sie dürfen einseitig Weisungen erteilen, die der Arbeitnehmer dann befolgen muss. Wem das Risiko dabei zu gross ist, kann entweder seine Stelle verlieren und arbeitslos werden, oder eine Beeinträchtigung seiner Gesundheit und vielleicht sogar seines Lebens bzw. von Gesundheit und Leben der betreuten Person in Kauf nehmen. Andere Optionen gibt es nicht.

Wie gewährleiste ich den bestmöglichen Schutz?

Für meine Rückkehr an den Arbeitsplatz haben wir uns verschiedene Massnahmen überlegt, die wir gerne als Tipps weitergeben. Dabei freuen wir uns über weitere Vorschläge und sind gespannt, wie sich andere Menschen im Rollstuhl verhalten, die in derselben Situation sind.

  • Ich trage während der ganzen Zeit im Büro eine Schutzmaske. Zu meiner persönlichen Ausrüstung gehört weiter ein Desinfektionsspray. Für besondere Situationen habe ich Einweghandschuhe mit dabei.
  • Ich habe ein Stück Küchenpapier in der Hand, um Türgriffe etc. zu berühren, und desinfiziere später die Hände. Dieses System verwenden wir bereits zu Hause für die Haustüre und im Hausgang und Keller des Mehrfamilienhauses, in dem wir wohnen.
  • Ich nehme meinen eigenen Laptop mit. So muss ich nicht an meinem Computer arbeiten, der auch von einer anderen Person benutzt wird, und ich muss nicht an Computern meiner Arbeitskollegen arbeiten. Das geht, weil wir in der Cloud arbeiten, auf die wir von überall her zugreifen können. Falls Ihr das mit dem eigenen Laptop auch so machen möchtet, denkt auch an das Ladekabel und evtl. ein Verlängerungskabel und eine eigene Maus.
  • Ich telefoniere mit dem Handy. So muss ich nicht das Büro-Telefon berühren. Das geht, da wir sowieso nur noch digital telefonieren und auf meinem Smartphone eine App installiert ist, über die ich Anrufe auf meine Büro-Nummer entgegennehmen und auch Anrufe machen kann.
  • Ich bringe eigene Schreibsachen mit. Also mein eigenes Bleistift und Kugelschreiber und einen Schreibblock, die nur ich berühre.
  • Ich bringe einen kleinen Tisch mit, an dem ich arbeiten kann. Damit kann ich den Abstand zu meinen Arbeitskollegen, der sonst nur dem Mindestabstand entspricht, vergrössern. Platz dafür haben wir im Büro. Diesen Tisch reinige ich dann mit selbst mitgebrachtem Reinigungsmittel, bevor ich ihn benutze.
  • Ich mache keine Pausen oder bleibe für die Pausen an meinem Platz. Es wird mir wohl nicht gelingen, kein Znüni zu essen. Dafür ist der Hunger zu gross. In diesem Fall desinfiziere ich davor und danach die Hände und setze nach der Pause eine neue Schutzmaske auf. Die Mittagspause verbringe ich zu Hause.
  • Ich trinke weniger, um nicht aufs WC gehen zu müssen, das von allen Mitarbeitenden benutzt wird. Vergesst dann aber nicht, das nachzuholen, sobald Ihr wieder zu Hause seid. Es ist wichtig, genügend zu trinken! (Update: Das geht doch nicht.)
  • Ich kläre die Präsenzzeiten ab, die ich einhalten muss, und verlasse das Büro gleich danach wieder. Ich muss nicht von 8.00 bis 12.00 Uhr und von 13.30 bis 18.00 Uhr im Büro sein, sondern wir haben eine Jahresarbeitszeit, die erreicht werden muss. Viele Kolleginnen und Kollegen sind schon vor der Pandemie erst um 9 Uhr gekommen oder um halb zwölf bereits wieder gegangen. Auch das hilft natürlich dabei, erst zu Hause wieder aufs WC zu gehen.

Viele meiner Arbeitskolleginnen und -kollegen werden dies wohl übertrieben finden und ich bin sicher, dass ausser mir niemand eine Schutzmaske tragen wird. Aber für mich hat der Schutz meiner Frau oberste Priorität. Und wenn ich schon ein völlig unnötiges Risiko eingehen muss, dann soll dieses Risiko wenigstens so tief wie möglich sein.

Daneben gelten natürlich alle anderen Verhaltensregeln weiter, die von der WHO empfohlen werden (danke für den Hinweis, Kevin):

  • Vermeidet Menschenansammlungen
  • Arbeitet wenn möglich von zu Hause aus
  • Desinfiziert die Rollstuhl-Greifringe und sonstige Hilfsmittel, die Ihr verwendet, regelmässig
  • Legt einen Vorrat an Medikamenten und Dingen an, die Ihr regelmässig benötigt

Bleibt gesund!

Update: Ein Tipp ist noch dazugekommen:

  • Sitzungen halten wir nach Möglichkeit draussen ab. Dank dem guten Wetter hat das bisher geklappt. Natürlich wird das auch nicht immer möglich sein.

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