Coronavirus: Betreuende Angehörige bleiben ungenügend geschützt

Eines der Hauptziele der Schweizer Behörden während der Coronavirus-Pandemie ist es, die Risikogruppen zu schützen. Menschen mit Behinderungen, die zur Risikogruppe gehören und auf Unterstützung im Alltag angewiesen sind, gingen dabei aber vergessen. Denn ihre betreuenden Angehörigen geniessen keinen besonderen Schutz. Sie riskieren damit eine Ansteckung.

Auf diesen Mangel habe ich das Bundesamt für Gesundheit (BAG) sowie die Bundeskanzlei (BK) am 16. März 2020 hingewiesen. Leider blieben mein E-Mail und auch meine erneute Kontaktaufnahme mit dem BAG und der BK sowie zusätzlich mit dem Bundesamt für Justiz (BJ) am 4. April 2020 unbeantwortet und unbeachtet.

Dank des Rückgangs der Ansteckungszahlen wurden und werden die Schutzmassnahmen schrittweise gelockert. Arbeitgebende erwarten nun, dass ihre Mitarbeitenden nach und nach wieder aus dem Home-Office an ihre regulären Arbeitsplätze zurückkehren, obwohl die Ansteckungsgefahr noch nicht komplett gebannt ist. Gerade jetzt ist der rechtliche Schutz der Risikogruppen wichtiger denn je. Ich finde es umso stossender, dass dieser Schutz weiterhin unzureichend ist. Mit diesem offenen Brief vom 17. Mai 2020 fordere ich die Schweizer Behörden deshalb erneut auf, die bestehenden Mängel zu beheben, und informiere gleichzeitig die Medien und die Öffentlichkeit.

Pflegende und betreuende Angehörige

Rund 600’000 Privatpersonen pflegen und betreuen in der Schweiz Angehörige (Quelle: Studie im Auftrag des BAG). Viele Menschen mit Behinderungen sind auf diese freiwilligen Betreuungspersonen – ihre Ehegatten, Partner, Söhne und Töchter oder sonstige Familienangehörige – angewiesen, um den Alltag bestreiten zu können. Die Abläufe sind eingespielt und oft ist es nicht oder nur mit grossen Schwierigkeiten und/oder Nachteilen möglich, die Betreuungsperson zu ersetzen.

Doch während Menschen mit Behinderungen, die zur Risikogruppe gehören, in der COVID-2-Verordnung (arbeits-) rechtlich ausreichend geschützt sind, sind es ihre betreuenden Angehörigen nicht. Sie können weiterhin von den Arbeitgebenden verpflichtet werden, an den Arbeitsplatz zu kommen, wobei ein gewisses Risiko verbleibt, dass sie sich dort oder auf dem Weg zum und vom Arbeitsplatz mit dem Coronavirus infizieren. Eine Infektion würden sie dabei unweigerlich an die von ihnen betreuten Personen weitergeben.

Nur Empfehlungen für betreuende Angehörige

Leider beschränken sich die Behörden darauf, ein COVID-19-Merkblatt mit Empfehlungen für betreuende Angehörige zu veröffentlichen. Darin ist zu lesen:

«Bleiben Sie zu Hause. Arbeiten Sie wenn möglich im Home-Office. […] Wenn in Ihrem Beruf Home-Office nicht möglich ist, nehmen Sie eine individuelle Abschätzung der Situation vor: Wie gross ist das Risiko, dass ich mich unterwegs oder auf der Arbeit anstecke?»

Dies bleibt aber eine rein rhetorische Frage ohne Antwort. Das BAG ist sich also bewusst, dass bei dieser Konstellation ein Risiko besteht, führt aber nicht weiter aus, was denn zu tun sei, wenn das Risiko einer Ansteckung nicht in Kauf genommen werden will oder kann. Umso unerklärlicher ist es, dass die Behörden darauf verzichten, die betreuenden Angehörigen rechtlich zu schützen.

Forderung an die Schweizer Behörden

Deshalb fordere ich das Bundesamt für Gesundheit, die Bundeskanzlei und das Bundesamt für Justiz erneut auf, Personen, die als einzige Bezugsperson besonders gefährdete Personen betreuen, den gefährdeten Personen rechtlich gleichzustellen, um beide besser vor einer Ansteckung zu bewahren.

Dieser offene Brief wurde mit Bitte um Antwort per E-Mail und später auch per Post verschickt an das Bundesamt für Gesundheit BAG, Daniel Koch, die Bundeskanzlei, das Bundesamt für Justiz sowie als Kopie an ausgewählte Zeitungen. Er wurde von allen Empfängern ignoriert.

Einen Kommentar verfassen