Im Rollstuhl nach Zermatt
Wow. Wir haben Zermatt besucht und sind immer noch schockiert. Vom Parkhaus in Täsch und dem Zug nach Zermatt bis zum Hotel mit der Auskunft «alle Zimmer sind rollstuhlgängig», die sich als falsch erweist: Nirgendwo haben wir uns im Rollstuhl bisher weniger willkommen gefühlt wie in Zermatt. Hier ist unser Erfahrungsbericht.
Im Rahmen unserer «Grand Tour of Switzerland» machen wir auch einen Abstecher nach Zermatt.
Parkieren in Täsch
Der Walliser Bergort ist autofrei. Alle Besucherinnen und Besucher müssen ihre Autos in Täsch zurücklassen und mit dem Zug weiterreisen. Vom grossen Schild werden wir zum Zwangs-Park-and-Ride ins Parkhaus mit 2’100 Plätzen direkt neben der Kantonsstrasse geleitet, den Matterhorn Terminal Täsch. Und jetzt? Zu den (nur!) zehn Behindertenparkplätzen geht es geradeaus, zur E-Zone mit 131 Plätze mit Ladestation für Elektroautos die Rampe hoch ins Obergeschoss. Unser Elektroauto muss laden, also fahren wir oben. Dort umrunden wir den grossen Parkplatz-Bereich zweimal, um sicherzugehen: Kein einziger davon ist als Rollstuhl-Parkplatz gekennzeichnet. So entscheiden wir uns für den letzten in der Reihe. Er ist neben der Durchfahrt gelegen, so dass wir auch bei der Rückkehr garantiert zur Autotüre kommen. Vier Franken Grundgebühr und 65 Rp/kWh sind teuer, aber uns bleibt nichts anderes übrig.
Ich kontaktiere das Matterhorn Terminal per E-Mail und erfahre in der Antwort am nächsten Morgen, dass drei der zehn Behindertenparkplätze mit einer Ladestation ausgestattet sind, bei denen erst noch gratis geladen werden kann. Das ist ja eigentlich toll, bringt aber nicht viel, wenn man nichts davon weiss.
Bei der Abreise am Tag darauf schauen wir nach. Die zehn Behindertenparkplätze sind gut markiert mit blauen Parkfeldern. Auf fünf davon stehen vier Minibusse und ein Geländewagen… alle davon illegal ohne Behindertenparkkarte. Kontrolliert oder zumindest gebüsst wird hier also kaum, der Missbrauch toleriert. Immerhin sind die drei Plätze mit Ladesäulen noch frei. Aber die Ladesäulen sind zu hoch angebracht und deshalb für Menschen im Rollstuhl nicht nutzbar. Die Kontaktlos-Schnittstelle zum Bezahlen befindet sich auf 130 cm über Boden, die Stecker auf 140 cm über Boden, erlaubt wären für beides maximal 110 cm (der grüne Bereich auf meiner Messlatte).
Immerhin: Einer der beiden Kassenautomaten zum Bezahlen der Parkgebühr ist tief angebracht und aus dem Rollstuhl bedienbar.
Zugfahrt nach Zermatt
Wir sind froh um das Gepäckwägeli, wie es sie auch auf Flughäfen gibt. Denn wir müssen alles Gepäck gleichzeitig mitnehmen. Gut, dass wir zu dritt unterwegs sind. Über den Lift gelangen wir von der E-Zone im Obergeschoss des Parkhauses nach unten und in die Bahnhofshalle. An vier Ticketautomaten können Tickets für die Bahnfahrt nach Zermatt und zurück gekauft werden. Doch im Gegensatz zu den Parkautomaten ist keiner davon für Menschen im Rollstuhl benutzbar. Die Auswahl der Tickets erfolgt ganz oben auf dem Touchscreen-Bildschirm. Menschen im Rollstuhl können hier unmöglich ein Ticket kaufen. Aber welches bzw. wie viele werden überhaupt benötigt? Wir suchen am Ticketautomat und im Menü vergeblich nach Informationen für Menschen mit Behinderungen.
Ich gehe also zum bedienten Schalter und frage. Die Person im Rollstuhl braucht ein normales Billet, eine Begleitperson fährt gratis, erhalte ich als Antwort. Auch hier gilt: Das ist ja eigentlich toll, bringt aber nicht viel, wenn man nichts davon weiss und als Person im Rollstuhl das Ticket sowieso nicht lösen kann.
Bei der Behindertentoilette mit Eurokey fehlt ein zweiter Schliesszylinder. So kann eine andere Person mit Eurokey die Türe von aussen öffnen, auch wenn die Toilette gerade benutzt wird. Das ist ein absoluter Anfängerfehler.
Die Barrieren zum Perron schliessen derart zackig, dass man fast Angst bekommt. Wir gehen dem Zug entlang und suchen nach einem Rollstuhl-Symbol, denn die meisten Wagen haben Stufen. Dann sehen wir eines. Der Rollstuhlplatz befindet sich beim tiefen Einstieg neben der Türe, ohne zusätzliche Sitzplätze und einem Verbot für Gepäckwägeli. Ausserdem ist es der Erste-Klasse-Wagen. Wir gehen also weiter. Den zweiten und letzten Rollstuhlplatz entdecken wir im Niederflurwagen, dem Gepäckwagen für Reisende mit Gepäckwägeli. Die herunterklappbaren Metallrohre über dem Kopf und die Gummimatte am Boden lassen keinen Zweifel zu: Während der Ski-Saison reisen auf dem Rollstuhlplatz die Skier mit. Menschen im Rollstuhl haben dann keinen Platz mehr. Sitzplätze für Begleitpersonen gibt es auch hier nicht.
Transfer zum Hotel
Wir treffen in Zermatt ein und stehen unschlüssig vor dem grossen Bahnhofplatz. Komisch anmutende Elektromobile fahren hin und weg und wild durcheinander. Alle scheinen dasselbe Modell zu sein. Es sind Taxis und Shuttles von Hotels. Eines haben sie alle gemeinsam: Sie sind nicht rollstuhlgängig. Keine Chance, mit dem Rollstuhl durch die schmale Türe zu gelangen. Hinten einsteigen geht auch nicht, dort befindet sich wohl die Batterie und der Motor. Wir telefonieren mit unserem Hotel: Ja, sie schicken ein Shuttle – fürs Gepäck. Es gäbe zwar schon einen einzigen Taxi-Anbieter mit einem rollstuhlgängigen Elektromobil, aber mit diesem Anbieter haben sie keine Partnerschaft und würden es deshalb nicht rufen. So müssen wir mit dem Rollstuhl zu Fuss zum Hotel gelangen, während das Shuttle mit unserem Gepäck an uns vorbei fährt. Zum Glück ist das Hotel nur knapp zehn Minuten vom Bahnhof entfernt.
Am Tag darauf entdecken wir dann dieses wohl einzige Elektro-Taxi mit Rollstuhl-Symbol und fragen. Ja, die Türe zum Einsteigen ist breit genug und es gäbe eine Rampe, antwortet der Fahrer. Zeigen will er sie uns nicht – nur, wenn wir mitfahren würden. Uns ist immer noch unverständlich, wieso das Hotel nicht dieses Taxi bestellt und halt den Fahrpreis bezahlt hat – die Hotel-Shuttles sind kostenlos, Taxis kosten. Aber ja sicher nicht so viel.
Hotel Zermama
Weil bei den meisten Hotels Informationen zu rollstuhlgängigen Zimmern fehlen – typisch Schweiz –, haben wir vor der Buchung in unserem Wunschhotel angerufen. «Alle unsere Zimmer sind rollstuhlgängig», ist die erfreuliche Auskunft des Hotel Zermama. Wir haben also eine Suite mit Wohn- und Schlafzimmer und Blick aufs Matterhorn gebucht. Das versteckt sich bei unserem Aufenthalt leider in den Wolken und zeigt sich nicht. Hingegen zeigt sich, dass die Auskunft falsch war.
Während die Hotel-Mitarbeitenden unter «rollstuhlgängig» wohl verstehen, dass man mit dem Rollstuhl durch die Zimmer- und Badezimmertüre passt, ist unsere bzw. die gesetzliche Auffassung anders. Rollstuhlgängig heisst eigentlich, dass die rechtlich verbindlichen Bauvorgaben der Norm SIA 500 für hindernisfreie Bauten eingehalten werden und mindestens Haltegriffe und ein Duschstuhl vorhanden sind. Doch hier gibt es nichts davon. Und obwohl unsere Suite zwei Badezimmer mit zwei Duschen hat, passt der Rollstuhl durch keine der beiden Duschtüren. Da spielt es auch keine Rolle, dass der Duschstuhl fehlt.
Es gibt auch keinen Tisch, an den wir uns setzen könnten, um noch ein wenig am Computer zu arbeiten. Jedenfalls nicht drinnen, nur draussen auf dem Balkon. Hier essen wir zum Znacht ein Fondue, und leider taucht das Matterhorn weiterhin nicht hinter den Wolken auf.
Und ich nehme es voraus: Beim Check-Out sprechen wir an, dass das Zimmer trotz der Zusicherung nicht wirklich rollstuhlgängig ist. Die Rezeptionistin interessiert das nicht weiter. Wir reklamieren deshalb nach unserer Heimkehr per E-Mail beim Hotel Zermama, weil die Auskunft falsch und duschen nicht möglich war. Auch jetzt, drei Wochen später, warten wir immer noch auf eine Reaktion.
Autofreies Zermatt
Zermatt ist autofrei. Das ist eine grosse Lüge. Auf dem Fussweg vom Bahnhof zum Hotel und vom Balkon aus beobachten wir, wie Zermatt nur so wimmelt von Autos. Die Elektromobile flitzen fast geräuschlos dicht neben den Touristinnen und Touristen vorbei. Es gibt keine Trottoirs, so dass Menschen und Elektromobile auf derselben Fläche unterwegs sind. Taxis, Hotel-Shuttles, Pöstler, Lieferwagen, Handwerker, ja sogar ein Heizöl-Tankwagen ist in Elektromobil-Form unterwegs. Dazu kommen «echte» Polizeiautos, Ambulanzen und Feuerwehr. Nur in der Bahnhofstrasse hat es wenig Fahrzeuge – hier ist die Menschenmasse einfach zu dicht, dass sie noch durchkommen.
Sowieso ist der «Overtourism» in Zermatt nicht zu übersehen. Beim Spaziergang durchs Zentrum ist es unangenehm. Viel zu viele Leute drängen sich auf den Strassen und in den Cafés, Bars, Restaurants und Kitsch-Läden, fast ein bisschen wie im Disneyland zur Ferienzeit.
Öffentlicher Verkehr
In Zermatt fahren auch Busse – also etwas grössere Versionen der Elektromobile. Während es neben dem Hotel eine auf Trottoir-Niveau erhöhte Bushaltestelle gibt, halten die Busse andernorts mitten auf der Strasse, ohne erhöhte Einsteigemöglichkeit – so wie auf dem Foto. Das Rollstuhl-Symbol am Bus ist wohl nur eine Dekoration. Selbst ein- und aussteigen, wie es das Behindertengleichstellungsgesetz seit Januar 2024 für den öffentlichen Verkehr vorschreibt, ist hier wohl kaum möglich.
Fazit: rollstuhlfeindlich
Vom Parkhaus mit nur wenigen Behindertenparkplätzen, die von Nichtberechtigten besetzt sind, bis zum Bahnhof mit nicht benutzbaren Ticketautomaten und dem Zug, in dem Menschen im Rollstuhl entweder alleine sitzen müssen oder von Skiern verdrängt werden: Alles schreit «Menschen im Rollstuhl nicht willkommen», noch bevor wir überhaupt in Zermatt eintreffen. Dort geht es genauso weiter. Und auch wenn unser Hotel eigentlich schön ist, fühlen wir uns hier und in Zermatt überhaupt nicht wohl. Dass mittlerweile neue gesetzliche Regeln für einen Mindeststandard an Rollstuhlgängigkeit gelten, hat hier entweder niemand mitbekommen oder niemanden interessiert.
Zermatt ist definitiv überbewertet. Vom Aufenthalt im Rollstuhl raten wir gleichzeitig ab und empfehlen ihn: Denn nur wenn Menschen im Rollstuhl hierher kommen und sich bei den zuständigen Stellen über die fehlende Rollstuhlgängigkeit beschweren, lässt sich vielleicht ein Umdenken bewirken und mehr Rollstuhlgängigkeit durchzusetzen. Gesetze alleine reichen dafür ganz offensichtlich nicht aus. Es wäre wirklich schön, wenn Zermatt wenigstens ein bisschen weniger rollstuhlfeindlich wäre.