Im Rollstuhl auf der «Grand Tour of Switzerland»
Wir sind die «Grand Tour of Switzerland» gefahren, eine besonders schöne Strecke durch die Schweiz, mit vielen Attraktionen und Fotospots entlang der Strecke. Dabei mussten wir leider feststellen: Menschen im Rollstuhl haben bei der Planung wohl keine grosse Rolle gespielt. Hier sind unsere Tops und Flops.
Vor zehn Jahren hat Schweiz Tourismus eine besonders schöne Strecke durch die Schweiz eingeweiht, die «Grand Tour of Switzerland». Auf 1’643 km führt sie durch alle Landesteile, neben Apfelplantagen, Weinbergen und Seen vorbei und über mehrere Pässe. Entlang der Strecke werden Attraktionen und Hotels vorgeschlagen, die nach den eigenen Vorlieben ausgewählt werden können. 88 Fotospots stehen für Selfies bereit. Typisch Schweiz: Informationen zur Rollstuhlgängigkeit sucht man vergeblich. Weder auf der Website noch im fast 300-seitigen Reiseführer oder der Karte wird sie auch nur mit einem Wort erwähnt.
Let’s do this! In einer mehrwöchigen Planung haben wir unsere Reise zu dritt geplant und Hotels gebucht: In neun Tagen besuchen wir ausgewählte Sehenswürdigkeiten und 42 der 88 Fotospots. Berggipfel und dergleichen lassen wir aus. Und ich nehme unser Fazit schon vorweg: Die «Grand Tour» ist nur bedingt für Menschen im Rollstuhl geeignet. Dabei hätte aber vieles besser gelöst werden können. Für uns steht fest: Menschen mit Behinderungen haben zumindest bei den Fotospot-Standorten keine grosse Rolle gespielt. Halt eben: Typisch Schweiz.
Beste Erlebnisse und wirklich empfehlenswert
In der Reihenfolge unserer «Grand Tour of Switzerland». Diese Orte haben uns am besten gefallen, auch wenn der Besuch im Rollstuhl teilweise anstrengend (aber möglich!) war:
- Emmentaler Schaukäserei
Die Emmentaler Schaukäserei in Affoltern und der Käserundgang «Königsweg» sind nicht nur komplett rollstuhlgängig, sondern auch wirklich sehenswert! Hier lernen wir viel über die Geschichte des Emmentalers und den Herstellungsprozess von der Kuh bis zur Lagerung des Käselaibs. Das Restaurant mit der grossen Fensterfront bietet einen wunderschönen Ausblick über die malerischen Hügel des Emmentals. Zum Gelände gehören auch ein altes Stöckli, in dem zwischendurch im Kupferkessel gekäst wird, und ein schöner Blumen- und Gemüsegarten. Beide sind nur über Stufen erreichbar. Schade: Die Behindertenparkplätze sind sehr schmal, und auf der Website fehlen Informationen zur Zugänglichkeit im Rollstuhl.
- Rheinfall
Der Rheinfall in der Nähe von Schaffhausen ist einer der mächtigsten Wasserfälle Europas. Wir parkieren auf dem grossen Parkplatz beim Schloss Laufen und freuen uns: Die Eintrittstickets für Menschen im Rollstuhl und für eine Begleitperson sind kostenlos. Das Getöse des Rheinfalls wird immer lauter, je näher wir kommen. Ein Schild mit Rollstuhl-Symbol weist uns den Weg zu den beiden Liften, die uns nach unten zur Aussichtsplattform bringen. Das Drehkreuz mit Rollstuhltüre öffnet sich beim Scannen des Tickets. Der Blick auf den Rheinfall ist wirklich eindrücklich. Schade: Der «Grand Tour of Switzerland»-Fotospot steht auf einer erhöhten Plattform, die nur über Stufen erreichbar ist. Das hätte besser gelöst werden können.
- Guarda
Aus dem herzigen kleinen Bündner Dorf hoch über dem Tal stammt Schellen-Ursli aus dem beliebten Kinderbuch. Wir suchen die Türe vom Umschlagbild. Und tatsächlich haben hier fast alle Haustüren diesen speziellen Stil und sind wunderschön. Das Dorf ist autofrei und eigentlich müssen alle Touristinnen und Touristen ihr Fahrzeug auf dem grossen Besucherparkplatz weiter unten zurücklassen. Ein Parkplatz-Schild mit Rollstuhl-Symbol weist aber nach oben. Dort finden wir einen Behindertenparkplatz, der zum Glück noch frei ist. Wegen der Topografie führt der Weg durchs Dorf zwar trotzdem ziemlich auf- und abwärts, aber der Kraftakt ist es wert: Wir lieben es, die wenigen Strassen mit den alten Häusern zu entdecken. Die Pflastersteine sind sorgfältig gelegt und so eben wie möglich. Nur im kleinen Schellen-Ursli-Museum wird es holprig. In einer unscheinbaren Konditorei essen wir ein unglaublich feines Dessert und kaufen im Volg eine Nusstorte vom lokalen Hersteller – dem besten, laut unserer Bündner Freundin. Beim Besucherparkplatz weiter unten gibt es eine Toilette, die genügend gross für den Rollstuhl ist, aber mit einer viel zu steilen Rampe.
- Ascona
Die Tessiner Kleinstadt liegt direkt am Lago Maggiore, hat eine wunderschöne Altstadt mit farbigen Häusern und eine malerische Seepromenade. Hier steht ein bisschen versteckt auch der «Grand Tour of Switzerland» Fotostop. Die Altstadt ist autofrei. Aber es gibt viele Behindertenparkplätze und wir fragen uns, ob wir vielleicht doch mit dem Auto hätten hineinfahren dürfen. Leider gab es dazu keinerlei Informationen, was ein bisschen schade ist. Wir spazieren die Seepromenade entlang und finden beim hinteren Parkplatz eine öffentliche Toilette, die auch rollstuhlgängig ist.
- Sonogno
Zuhinterst im Verzasca-Tal liegt Sonogno. Auch dieses malerische Dorf mit seinen Steinhäusern ist autofrei. Auf dem grossen Parkplatz warten mehrere Behindertenparkplätze. Die Strässchen wurden wohl vor kurzem neu gepflastert und sind erstaunlich eben. Beim Gemeinschaftsofen verkaufen zwei Frauen frisch gebackenes Brot, und im kleinen Laden weiter unten bekommen wir ein schönes Stück Käse. So sitzen wir bald auf dem Mäuerchen rund um den Dorfplatz und essen ein improvisiertes Mittagessen. Wir haben uns gar nicht geachtet, ob es auch eine Behindertentoilette gibt, aber ziemlich sicher schon.
- Barryland
Im Hospiz auf dem grossen Sankt Bernhard leben weiterhin Nachkommen des legendären Rettungshunds Barry. Aber nicht nur dort: Im neu gebauten Besucherzentrum in Martigny sind sie besser erreichbar. Im oberen Stock wohnen tagsüber die Hunde, abends kommen sie zurück zu ihren Familien, bei denen sie in ihrer Freizeit leben. Durch die Glasfront können wir sie in verschiedenen Räumen beobachten, während sie schlafen, spielen oder anderweitig beschäftigt sind: Syrah kommt gerade zur Aqua-Therapie. Die Hundedame ist achtjährig und damit bereits in einem höheren Alter, in dem Bernhardiner oft Gelenkprobleme haben oder nicht mehr gut aufstehen können. Wir können bei der Aqua-Therapie zuschauen und erhalten gleich noch viele Informationen dazu. Lift und Behindertentoilette sind natürlich vorhanden – auch im Restaurant «Café de Barry» mit tollem Essen.
- Chaplin’s World
Im Wohnhaus von Charlie Chaplin in Vevey ist heute ein Museum eingerichtet, in dem wir viel über den britischen Schauspieler, Produzent und Komponist lernen. Er ist in die Schweiz gezogen, nachdem ihm zu Beginn des Kalten Kriegs von der paranoiden US-Regierung die Rückkehr nach Amerika verweigert wurde. Die Rampe ins Haus ist gut ausgeschildert, die Türe öffnet sich automatisch. Alles ist rollstuhlgängig. Eine Mitarbeiterin weist uns auf den Lift hin, mit dem wir ins Obergeschoss gelangen. Im Studio im Nebengebäude sehen wir einen kurzen Film über Charlie Chaplin, bevor wir durch die Leinwand in den Film gelangen. Viele Szenen sind hier nachgebaut, und mehrere Requisiten ausgestellt. Auch das Studio hat einen Lift zum Untergeschoss und ist komplett rollstuhlgängig. Schade: Die Rasengittersteine auf den Behindertenparkplätzen sind für Rollstühle nicht geeignet und bei der Behindertentoilette fehlt die Rückenlehne.
- Murten
In Murten verbringen wir nur wenig Zeit, um einen Nidelkuchen zu kaufen. Eines fällt uns aber ganz stark auf: Immer wieder gibt es Rampen mit Rollstuhl-Symbol, die von der breiten Gasse in die erhöhten Laubengänge führen. Die hätten wir in Bern auch gerne.
Schlechteste Erlebnisse und nicht empfehlenswert
In der Reihenfolge unserer «Grand Tour of Switzerland». Schlecht waren die Erlebnisse aus der Rollstuhl-Perspektive. Das hat überwogen, auch wenn die Orte sonst schön waren.
- Schloss Hallwyl
«Mit dem Rollstuhl kommen Sie nur ins Café», hören wir an der Kasse. «Dafür ist es für Sie gratis.» Und auch für mich als Begleitperson. Gabi im Rollstuhl muss im Café warten, während wir das Schloss erkunden. Das ist weniger lustig. Klar, die ältesten Teile des Wasserschlosses wurden im 12. Jahrhundert erbaut, der Rest ist auch nicht viel neuer. Natürlich haben wir Verständnis, dass damals beim Bau Menschen im Rollstuhl nicht berücksichtigt wurden. Trotzdem: Würde es in England stehen, gäbe es an einer versteckten Stelle Rampe und Lift.
- Hohle Gasse
«Durch diese Hohle Gasse muss er kommen», schrieb Schiller. Damals führte kein anderer Weg nach Küssnacht, heute zum Glück schon. In der Zwischenzeit wurde der steile Waldweg mit seinen grossen Steinplatten verengt und daneben ein «rollstuhlgängiger Weg» erstellt. Und wäre nicht diese Info (auf Wikipedia – auf der offiziellen Website fehlen natürlich jegliche Informationen zur Rollstuhlgängigkeit), hätten wir es gar nicht erst probiert, mit dem Rollstuhl auf dieser Strecke nach oben zu gelangen. Der Weg ist steil und das Kies rutschig. Nur mit Mühe und Not erreichen wir die Tellskapelle. Deshalb hole ich lieber das Auto in die Nähe, statt den Rückweg nochmals über diesen Weg zu wagen. Doch die Strasse von der anderen Seite her bis fast zur Kapelle liegt im Fahrverbot und hat keine Parkiermöglichkeiten.
- Stein am Rhein
Die autofreie Altstadt von Stein am Rhein ist wunderschön. Hier fühlen wir uns sofort wohl und essen auf einer Bank am Rheinufer die wohl beste Crèpe, die wir je hatten. Ganz schlimm ist aber die öffentliche Behindertentoilette neben dem grossen Besucherparkplatz beim Untertor. An der Klobrille ist eine Feder befestigt, die sie nach oben klappt, wenn sie nicht hinuntergedrückt wird. Das macht den Transfer aus dem Rollstuhl extrem schwierig. Und die Rückenlehne besteht nur einer kleinen runden Platte, die durch die hochgeklappte Klobrille passt. Hier anzulehnen ist schwierig, und rutschig. Die ganze Behindertentoilette ist eine komplette Fehlkonstruktion. Und der Grund, wieso Stein am Rhein auf unserer Negativ-Liste landet.
- Heididorf
Über einen schmalen Waldweg gelangen wir zum Besucherparkplatz. Ein Behindertenparkfeld suchen wir vergeblich. Wir fahren zuerst weiter nach oben zum Restaurant Heidihof… und sind skeptisch. Denn auch auf dem Restaurant-Parkplatz gibt es keinen Behindertenparkplatz, und wir sehen nur eine steile Treppe. Der Wirt zeigt uns den schmalen geteerten Weg am Ende des Parkplatzes, der zur Restaurant-Terrasse führt, und überraschenderweise gibt es eine moderne rollstuhlgängige Toilette. Und das Essen mit Bündner Spezialitäten – Capuns, Pizokel, Älplermagronen – ist grossartig. Vom unteren Parkplatz her laufen wir den Heidiweg entlang zum Heididorf. In der prallen Sonne geht es aufwärts und abwärts, so dass wir schon bei der Ankunft erschöpft sind. Und wir fragen uns, wieso nicht ein naher Behindertenparkplatz gebaut wurde, zum Beispiel beim Wohnhaus kurz vor dem Eingang, zu dem die Bewohner mit dem Auto fahren dürfen. Im Heididorf sind die Wege zu den meisten Häusern steil. Und in jedem Haus gibt es ein Drehkreuz, das nur mit gültigem Ticket passiert werden kann. Rollstühle passen natürlich nicht durch. Wir sind enttäuscht und verlassen das Heididorf schnell wieder. Fazit: Rollstuhlfeindlicher geht’s nicht.
- Bellinzona
Wir wollen das Castel Grande auf einem grossen Felsen hoch über der Altstadt besuchen. Der Zugang mit dem Rollstuhl ist durch eine Grotte mit Lift möglich. Oder doch nicht. Denn der Lift führt nicht bis zur Wiese rund um die Burg, sondern nur bis zu einer Rampe unterhalb. Mit ihren runden Pflastersteinen und dem Gefälle ist sie im Rollstuhl nicht passierbar. Hätte der Lift nicht weiter drüben gebaut und in eines der Gebäude führen können? Ohne Gabi erkunden wir die Burg und stellen fest: Auf der Rückseite gibt es eine Strasse und einen Behindertenparkplatz. Eine Info dazu haben wir vergeblich gesucht. «Die direkte Zufahrt zur Burg mit Kraftfahrzeugen ist nicht gestattet», steht auf der Website, und unten an der Strasse ist ein Fahrverbot ausgeschildert. Schade: Möglich wäre es also, aber offenbar soll niemand davon erfahren.
- Zermatt
Wow. Vom Besuch in Zermatt sind wir immer noch schockiert. Vom Parkhaus in Täsch und dem Zug nach Zermatt bis zum Hotel mit angeblich «alle Zimmer sind rollstuhlgängig»: Nirgendwo haben wir uns im Rollstuhl dermassen unwillkommen gefühlt wie hier. Unser Fazit auch hier: rollstuhlfeindlich. Mehr dazu im separaten Blogbeitrag.
Kritik an der Grand Tour
Hauptbestandteil der «Grand Tour of Switzerland» sind die 88 Fotospots mit den grossen roten Schild-Umrissen, die zum Selfie einladen. Auf unserer neuntägigen Reise haben wir 42 davon angesteuert. Nur 32 waren im Rollstuhl erreichbar. Bei den übrigen mussten wir allzu oft feststellen: Mit ein wenig gutem Willen hätten sie so platziert werden können, dass ein Selfie im Rollstuhl möglich gewesen wäre. Dass nicht einmal Schweiz Tourismus, die nationale Organisation für Tourismusvermarktung der Schweiz, die Zugänglichkeit für Menschen im Rollstuhl berücksichtigt, macht uns traurig.
Diese zehn Fotospots bleiben Menschen im Rollstuhl verwehrt, in der Reihenfolge unserer «Grand Tour of Switzerland»:
- Autofähre Tellsprung
Der Fotospot auf der Autofähre zwischen Gersau und Beckenried auf dem Vierwaldstättersee befindet sich auf dem Aussichtsdeck, das nur über Treppen links und rechts erreichbar ist. Dasselbe gilt für die beiden Toiletten. Ein Lift ist nicht vorhanden. Und auch beim Warten gibt es zumindest in Gersau keine Behindertentoilette. Das Hotel-Restaurant Fähri hat zwar eine, doch das Verbotsschild und all das Gerümpel vor der Türe zeigen klar, dass hier niemand erwünscht ist.
- Rheinfall
Von der rollstuhlgängigen Besucherplattform führen zwei Stufen zu einer leicht höheren Plattform. Auf dieser befindet sich der Fotospot. Er hätte genauso gut auf der allgemeinen Plattform montiert werden können. Hier war den Verantwortlichen egal, dass der Fotospot für Menschen im Rollstuhl unerreichbar ist. So ist er leider ein Reinfall.
- Stein am Rhein
Der Fotospot befindet sich nicht in der Altstadt, sondern auf einem kleinen Hügel im Wohnquartier auf der anderen Seite des Rheins. Erreichbar ist er nur über einen Fussweg, der in beiden Richtungen mehrere Stufen hat.
- Bodensee Region Untersee
Dieser Fotospot befindet sich beim Napoleon Museum, von dem wir zuvor noch nie gehört haben. Auf dem grossen Gelände suchen wir lange nach dem Fotospot, bis wir ihn entdecken: Am unteren Ende einer Treppe. Er hätte problemlos auf dem Platz oben an der Treppe oder im Gärtchen hinter dem Haus daneben platziert werden können, und damit erreichbar für Menschen im Rollstuhl.
- Säntis
Der Fotospot mit Blick auf den Säntis befindet sich bei der Talstation der Gondelbahn. Aber nicht etwa direkt auf dem Boden, sondern auf einem Felsen ein paar Meter über dem geteerten Fussweg. Klar, so können schöne Fotos geschossen werden. Aber es wäre durchaus möglich gewesen, einen rollstuhlgängigen Weg hinauf zum Fotospot zu bauen.
- Heidihaus
Nicht nur, dass der ganze Erlebnispark völlig rollstuhlfeindlich ist, siehe oben. Auch der Fotospot wurde so in einem Garten platziert, dass er nur über einen steilen Weg und Stufen erreichbar ist. Gegen einen anderen Standort hätte nichts gesprochen.
- La Punt
Hier befindet sich der Fotospot auf einem kleinen Aussichtsdeck mit Holzboden neben dem Fluss, mit Blick auf das Chesa Merleda als Wahrzeichen von La Punt. Mehrere Stufen führen hinunter zum Deck. Eine Rampe wäre problemlos möglich gewesen, oder man hätte gleich das ganze Deck höher anbringen können.
- San Bernardino
Obwohl es entlang der Passstrasse und den Haarnadelkurven viele Aussichtspunkte gibt, wurde der Fotospot auf einem Felsen angebracht. Dieser hätte sich gut geeignet, um eine Rampe mit nur leichtem Gefälle einzubauen. Aber nein, der Wunsch war wohl grösser, ihn für Menschen im Rollstuhl unerreichbar zu platzieren.
- Monte Ceneri
Der Fotospot auf der «Piazza Ticino» ist der fragwürdigste unserer ganzen Reise. Der Totem mit einer Säule und Eisenbahnschwellen neben einem heruntergekommenen Industriegelände und unter einer Starkstromleitung mag eine tiefere Bedeutung haben. Jedenfalls ist es unmöglich, mit dem Rollstuhl über die schräge Grasfläche auf die erhöhte Ebene zu gelangen, auf dem sich der Platz befindet.
- Sion
Vielleicht war es früher möglich, mit dem Auto zum Fotospot zu gelangen. Heute ist jedenfalls schon weit entfernt ein Fahrverbot signalisiert, und auf dem letzten, sehr steilen Wegstück zum Fotospot steht sogar ein Schild «Privatweg».
Gesamteindruck unserer Reise
Die Reiseplanung in der Schweiz ist schwierig. Ob Sehenswürdigkeiten und Hotels rollstuhlgängig sind, ist kaum je auf den Websites aufgeführt. Bei der Ankunft in den Hotels mussten wir dann oft feststellen: Wenn ein Schweizer Hotel auf unsere Frage hin antwortet, «alle unsere Zimmer sind rollstuhlgängig», dann ist kein einziges Zimmer rollstuhlgängig. Denn dazu reicht es nicht, wenn man im Rollstuhl durch die Zimmertüre passt und ins Badezimmer gelangt. Nein, dazu gehören die von dazu gesetzlich vorgeschriebenen Haltegriffe und ein Duschstuhl, ja überhaupt bis zur Dusche zu kommen. In Bezug auf die Rollstuhlgängigkeit waren wir von den meisten Hotels auf unserer Reise enttäuscht.
Positiv herausgestochen ist einzig das «Modern Times» Hotel in Vevey, inspiriert von den Charlie Chaplin Filmen. Es ist mehr als perfekt rollstuhlgängig. Sogar die Lichtschalter sind tiefer angebracht, um aus dem Rollstuhl besser erreichbar zu sein. Die losen Sachen im Badezimmer liegen auf einem Gestell mit Rollen, das bei Bedarf weggestellt werden kann. Alle Haltegriffe und ein Duschstuhl sind vorhanden, ebenso ein tiefer Türspion. Auch sonst hat uns das Hotel und Hotelzimmer überzeugt.
Insgesamt haben wir die Westschweiz und das Tessin barrierefreier empfunden als die Deutschschweiz. Aber überall sind uns Zustände aufgefallen, die so nicht hätten sein sollen. Bei einem grossen Teil der öffentlichen oder halböffentlichen Behindertentoiletten in Supermärkten und Raststätten fehlte beim langen WC-Sitz die vorgeschriebene Rückenlehne, was die Benutzung für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen fast unmöglich macht. Wir haben standardmässig eine steife Rollstuhltasche mit dabei, die wir in solchen Fällen hinter dem WC-Sitz hinstellen können, aber das müsste nicht nötig sein. Bei mehreren Behindertentoiletten gab es keinen zweiten Schliesszylinder. Und tatsächlich hat in der Raststätte Bellinzona eine andere Person mit Eurokey die Toilette von aussen aufgeschlossen und ist hineingekommen, als wir sie gerade benutzt haben. Man könnte meinen, wir seien hier in einem Drittweltland unterwegs. Denn das ist die Schweiz leider in Bezug auf die Rollstuhlgängigkeit.
Nichtsdestotrotz: Unsere Reise durch die Schweiz hat uns gut gefallen. Viele Orte möchten wir noch einmal und ausführlicher besuchen. Nun muss der Rollstuhl aber erst mal in den Service – die holprigen Wege haben ihm gar nicht gut getan.