Kurzparking Bahnhof Bern: Die SBB lässt es sich etwas kosten, Menschen mit Behinderungen schlechterzustellen

Bisher standen auf dem Kurzparking-Parkdeck des Bahnhofs Bern vier Behindertenparkplätze bereit. Diese gibt es nicht mehr. Stattdessen wurde der Motorrad-Parkbereich vergrössert und an diese Stelle verlegt. Menschen mit Behinderungen sollen ihr Auto zukünftig im kostenpflichtigen Bereich parkieren. Diese Schlechterstellung ist aus mehreren Gründen problematisch.

Das Baustellenschild verrät: Die SBB will die Parkterrasse aufwerten. Dazu erfolgt unter anderem eine «Entflechtung verschiedener Verkehrsteilnehmer» durch separate Zufahrten für den Wartebereich zum Ein- und Aussteigen, für Taxis und für Motorräder. Behindertenparkplätze sind in diesem kostenlosen Bereich des Kurzparkings nicht mehr vorgesehen. Sie waren zwar öfters von Nichtberechtigten besetzt, standen ansonsten aber Menschen mit Behinderungen für ihren Besuch in einem der Geschäfte oder Restaurants im Bahnhof Bern zur Verfügung.

Ein längerer Weg für Menschen mit einer Gehbehinderung

Die Umplatzierung der Behindertenparkplätze ist aus mehreren Gründen problematisch:

  • Menschen mit einer Gehbehinderung sind oft langsamer unterwegs. Ihre Parkgebühren für eine kurze Besorgung können damit deutlich höher ausfallen als für eine Person ohne Gehbehinderung bei derselben Besorgung.
  • Die Verlegung in den weiter entfernten kostenpflichtigen Teil bedeutet einen längeren Weg zur Liftanlage, obwohl Menschen mit einer Gehbehinderung genau damit Mühe haben und ihre Wege deshalb möglichst kurz sein sollten.
  • Menschen, deren Behinderung nicht nur die Fortbewegungsmöglichkeit einschränkt, können Mühe damit haben, bei der Barriere das Parkticket aus dem Automaten zu ziehen.
  • Die weiter von der Liftanlage entfernten Parkfelder können ein Sicherheitsrisiko für Menschen mit Gehbehinderungen darstellen, die spätabends alleine zu ihrem Auto zurückkehren.
  • Das Kurzparking ist häufig «voll» und es bilden sich lange Warteschlangen. Da Behindertenparkplätze von den Ticketsystemen in der Regel nicht mitgezählt werden, da sie nicht von allen Personen benutzt werden können, müssen Menschen mit Gehbehinderungen in solchen Momenten ebenfalls warten, obwohl Behindertenparkfelder frei sind.

Schneller belegtes Kurzparking

Dass es zukünftig sechs statt vier Behindertenparkfelder geben wird, ist zwar besser, trägt aber gleich doppelt zu einem schneller belegten Kurzparking bei. Denn einerseits stehen dadurch weniger übrige Parkplätze zur Verfügung, und andererseits vermerkt das Ticketsystem aufgrund der von Benutzerinnen und Benutzern der Behindertenparkplätze gezogenen Tickets das Kurzparking als vollständig belegt, obwohl weiterhin Parkfelder frei sind.


Die zukünftige Parkiersituation auf dem Kurzparking-Parkdeck. Plan © SBB

Die SBB verzichtet auf Einnahmen

Mit der Umplatzierung der Behindertenparkplätze vom kostenlosen in den kostenpflichtigen Bereich des Kurzparkings nimmt die SBB eine finanzielle Einbusse in Kauf. Denn Parkfelder für Menschen mit Behinderungen sind rund eineinhalb Mal breiter als die übrigen Felder, von denen dadurch drei oder vier weniger erstellt werden können. Zudem sind die Behindertenparkplätze wohl seltener belegt als die übrigen Parkfelder.

Weiter erstaunt, dass Motorradfahrende ihr Zweirad auch zukünftig gratis parkieren können, wie Felix Bossel, Businesspartner Kommunikation Immobilien der SBB AG, im Rahmen seiner Auskunft an das Rollstuhlblog.ch bestätigt. Unser erster Gedanke war es nämlich, dass die Behindertenparkplätze wohl aus finanziellen Gründen umplatziert wurden, um stattdessen mit den Motorradparkplätzen Geld zu verdienen. Diese Annahme hat sich als falsch herausgestellt. Die SBB lässt es sich sogar etwas kosten, Menschen mit Behinderungen schlechterzustellen.

Schlechterstellung zugunsten von Motorradfahrenden

Am Standort der früheren Behindertenparkplätze befindet sich neu der vergrösserte Motorrad-Parkbereich. Dass Motorradfahrenden neu dieser grosse und attraktivere Bereich zugeteilt wurde, und erst noch zur kostenlosen Benutzung, erstaunt. Für sie wäre die Nähe zur Liftanlage nicht erforderlich. Sie hätten auch an einen anderen Standort platziert werden können.

Zudem möchte die Stadtregierung in der Innenstadt lieber weniger als mehr motorisierten Individualverkehr. Zu diesem gehören auch Motorräder, die auch öfters durch übermässigen Lärm negativ auffallen. Ihre Bevorzugung bei der neuen Parkiersituation der SBB scheint weder zum behördlichen Trend noch zum Profil der SBB als wichtigem Teil des öffentlichen Verkehrs zu passen.

Die eigentlich grundlose Schlechterstellung von Menschen mit Gehbehinderungen zugunsten von Motorradfahrenden ist auch insofern unverständlich.


Vom Rollstuhlblog rot eingezeichnet: Früherer Standort der Behindertenparkplätze. Plan © SBB

Die Umplatzierung ist wohl keine Diskriminierung

Obwohl die Umplatzierung der Behindertenparkplätze eine Schlechterstellung von Menschen mit Behinderungen bedeutet, stellt diese rechtlich gesehen wohl keine Diskriminierung dar. Dies wäre anders, wenn im kostenlosen Bereich Parkplätze, nicht aber Behindertenparkplätze zur Verfügung stehen würden. Der Wartebereich ist so angelegt, dass auch Menschen mit Behinderungen ein Ein- und Aussteigen möglich ist.

Zwar lässt sich argumentieren, die SBB verstosse gegen das Gleichheitsprinzip. Dieses besagt, dass Gleiches gleich, Ungleiches ungleich behandelt werden muss. Es widerspricht diesem Prinzip, das in Artikel 8 der Schweizer Bundesverfassung vorgeschrieben wird, Menschen mit Behinderungen gleich zu behandeln wie Menschen ohne Behinderung, zumal bisher die nötige Ungleichbehandlung gegeben war.

Jedoch gilt die Grundrechtsbindung nur gegenüber staatlichen Organen und Privaten bei der Wahrnehmung von staatlichen Aufgaben. Diese erstreckt sich bei der SBB nicht nur auf den Eisenbahnverkehr, sondern auch auf viele Belange rund um das Betreiben einer Eisenbahnstruktur mit Bahnhöfen und ihren Publikumsanlagen. Ob das Kurzparking-Parkdeck in Bern ebenfalls zu diesen gehört oder nicht, müsste gerichtlich festgestellt werden. Das Grundstück, auf dem sich das Kurzparking befindet, gehört der SBB.

Keine Mitwirkung von Procap

Gemäss der SBB habe Procap «das Projekt gutgeheissen». Diese Behauptung hat sich als falsch oder zumindest irreführend herausgestellt.

Stefan Tschachtli, der Leiter Fachstelle Hindernisfreies Bauen von Procap in Bern, stellt klar, dass Procap lediglich von der Baubewilligungsbehörde hinzugezogen wurde, um die Einhaltung der baurechtlichen Normen zu kontrollieren. In Bezug auf Menschen mit einer Gehbehinderung heisst dies: Wurde die erforderliche Zahl an Behindertenparkplätzen eingeplant, und entspricht ihre Grösse den gesetzlichen Vorgaben? Beides konnte bejaht werden. Mit den sechs Parkfeldern geht die SBB sogar deutlich über die erforderlichen zwei Parkfelder hinaus. Eine weitergehende Beurteilung, also ob der neue Standort optimal oder praktisch sei, war nicht Teil des Auftrags.

Damit muss davon ausgegangen werden, dass die SBB darauf verzichtet hatte, in der Planungsphase Procap oder eine andere Fachstelle beizuziehen. Damit wurden die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen hinsichtlich der Umplatzierung der Behindertenparkplätze ungenügend berücksichtigt. Korrekt dimensionierte Behindertenparkplätze in der richtigen Anzahl nützen wenig, wenn sie nicht am optimalen Standort platziert sind.


Hier konnten wir früher parkieren. Augenschein am ehemaligen Standort der Behindertenparkplätze

Bessere Lösungen

In Anbetracht der verschiedenen Zufahrten für die verschiedenen Verkehrsteilnehmenden und die gemeinsame Wegfahrt im kostenlosen Bereich hätte sich sicherlich ein optimalerer neuer Standort für die Behindertenparkplätze finden lassen. Mehrere alternative Anordnungen hätten die Bedürfnisse von Menschen mit einer Gehbehinderung besser berücksichtigt. Ob die SBB solche Varianten geprüft und sich dagegen entschieden hatte, ist nicht bekannt.

Tatsache ist, dass die Behindertenparkplätze öfters von Nichtberechtigten und Fahrschulautos besetzt waren. Deswegen standen wir in den letzten zehn Jahren mehrmals in Kontakt mit der SBB, die jeweils gelobte, ihren Objektschutz damit zu beauftragen, «noch intensiver die Behindertenparkplätze zu kontrollieren und die Parksünder zu verzeigen». Gut möglich, dass die SBB dieses Falschparkieren und damit den Kontrollieraufwand beseitigen wollte, indem die Behindertenparkplätze an einen weniger attraktiven Standort verschoben werden. Damit wäre sie das Problem von der falschen Seite her angegangen.

Auch ein allenfalls unerwünschtes Abstellen des Autos einer Person mit Gehbehinderung für eine längere Zeit hätte sich auf eine andere Weise lösen lassen, beispielsweise mit einer Zeitbeschränkung der Parkdauer auf eine, zwei oder mehr Stunden wie u.a. beim Hauptbahnhof Zürich.

Vorläufiges Fazit

Die SBB möchte die Parkterrasse aufwerten. Dass dabei die Parkiersituation von Menschen mit Gehbehinderungen ohne triftigen Grund deutlich abgewertet wird, ist tragisch. Mit ein wenig gutem Willen hätte sich ein optimalerer neuer Standort für die Behindertenparkplätze finden lassen. Dieser scheint bei den verantwortlichen Mitarbeitenden der SBB nicht ausreichend vorhanden gewesen zu sein.

Während den Umbauarbeiten war lediglich vorgesehen, dass Menschen mit einer Gehbehinderung ihre Autos auf dem Taxi-Standstreifen parkieren. Eine unhaltbare Situation. Aufgrund unserer Intervention wurden immerhin rasch drei korrekt dimensionierte, provisorische Behindertenparkplätze im bezahlten Bereich des Kurzparking erstellt. Dies bleibt alles andere als optimal. Wir wenden uns deshalb an die Stadtbehörden und die Öffentlichkeit. Ob das Umbauvorhaben zum jetzigen Zeitpunkt noch angepasst werden kann, ist jedoch fraglich.


Provisorische Beschilderung des Taxi-Standstreifens, der nun zusätzlich auch ein Behindertenparkplatz ist


Die drei provisorischen Behindertenparkplätze im kostenpflichtigen Teil des Kurzparking wurden nach der Intervention des Rollstuhlblogs markiert

Update: Prominente Unterstützung

Anfang Juli trifft eine Antwort von Stadtpräsident Alec von Graffenried per Post ein. «Wir gehen mit Ihnen einig, dass dieses Parkfeld für Menschen mit Mobilitätsbeeinträchtigungen besonders relevant ist, da sich die Lifte in unmittelbarer Nähe befinden und die Wege zum Bahnhof kurz sind», schreibt er. Allerdings habe die Stadt keine Möglichkeit zur direkten Einflussnahme. Dessen bin ich mir bewusst. Das Gelände gehört der SBB und die Baubewilligung wurde erteilt. Er verspricht aber: «Wir werden aber, im Rahmen unserer Austauschgespräche mit der SBB, das Gespräch bezüglich der Aufhebung der Behindertenparkplätze resp. deren Verschiebung in den kostenpflichtigen Teil, suchen.»

Den öffentlichen Druck erhöhen

Dank der Berner Zeitung gelingt es, den öffentlichen Druck auf die SBB zu erhöhen. Im Artikel Knatsch um Behindertenparkplätze (nur mit Abo/Tagespass) berichtet die Journalistin über die verschobenen Behindertenparkplätze und lässt die Stadt Bern und die SBB zu Wort kommen. Dabei verwundert, dass die Mediensprecherin der SBB weiterhin behauptet, Procap habe das Projekt gutgeheissen. Diese Aussage haben wir schon vor als Falschaussage entlarvt – siehe oben.

Und auch das Radio zeigt Interesse: Am 26. Juli wird ein kurzer Bericht auf Radio Bern 1 ausgestrahlt.

Das Thema schafft es sogar ins Fernsehen! Tele Bärn interview im Fernsehbeitrag zwar jemanden des Behindertenorganisationen-Dachverbands Inclusion Handicap, aber egal – wir ziehen schliesslich alle am selben Strang. Der Druck auf die SBB steigt.

(K)ein Kompromiss

Update 9. August 2022: Der Stadtpräsident Alec von Graffenried meldet mir per E-Mail den neuesten Stand:

«Ich konnte in der Zwischenzeit mit den SBB sprechen. Die SBB haben mir dabei folgendes mitgeteilt: ‹Die SBB errichtet einen exklusiven, ausgewiesenen behindertenfreundlichen Stellplatz im Kiss+Ride zum Be- und Entladen von bis zu 15 Minuten für Personen mit Beeinträchtigung. Der Stellplatz bietet zudem die Möglichkeit, bei Bedarf das Be- und Entladen des Personenfahrzeugs über die Kofferraumklappe, da es hinten freien Platz und keinen weiteren Parkplatz hat.›»

Das Erstellen eines behindertenfreundlichen Stellplatzes im Ein- und Aussteigebereich ist zwar eine erfreuliche Ergänzung, aber leider keine Lösung für das grundlegende Problem, das durch die Umplatzierung der eigentlichen Behindertenparkplatzfelder in den weiter entfernten kostenpflichtigen Bereich entstanden ist.

Ich hoffe trotzdem, dass seine Gesprächsaufnahme mit der SBB dazu beigetragen hat, dass die SBB die Umgestaltung noch optimiert, oder zumindest bei zukünftigen Umbauprojekten schon in der Planungsphase besser auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen eingeht.

Ich habe bereits im Namen der Behindertenkonferenz Stadt und Region Bern (BRB) an die SBB appelliert, dass die BRB als Zusammenschluss von Behindertenorganisationen im Raum Bern frühzeitig involviert wird, um beratend mitzuhelfen, eine möglichst optimale Lösung für alle Zielgruppen zu erarbeiten.

Besten Dank für Ihre Nachricht. Wir haben Ihr Anliegen intern aufgenommen und werden die Formulierung, dass Procap das Projekt gutgeheissen hat, so nicht mehr verwenden.

Immerhin hat die Mediensprecherin der SBB zugesagt, dass sie im Zusammenhang mit dem Umbau des Kurzparkings die Formulierung, dass Procap das Projekt gutgeheissen hat, so nicht mehr verwenden. Und sie schreibt: «Zudem sind weitere Massnahmen bei der SBB in Prüfung. Wir werden Sie gerne informieren, wenn es Neuigkeiten gibt.»

Wenigstens noch eine Anpassung

Da Menschen mit Behinderungen und im Rollstuhl bisher im kostenlosen Bereich parkieren konnten, bestand dafür kein Bedarf. Die Umplatzierung der Behindertenparkplätze in den kostenpflichtigen Bereich macht aber eine Anpassung der Kassenautomaten nötig. Gemäss der SIA-Norm 500 müssen Bedienelemente auf einer Höhe von 0.80 – 1.10 Meter über dem Boden angeordnet werden. Insofern habe ich den zuständigen Projektleiter aufgefordert, die maximal erlaubte Bedienhöhe von 1.10 Meter für den Billet- und Münzeinwurf und die Touchscreen-Elemente des Bildschirms sicherzustellen.

1 Kommentar zu “Kurzparking Bahnhof Bern: Die SBB lässt es sich etwas kosten, Menschen mit Behinderungen schlechterzustellen”

  1. Diese unbefriedigende Berücksichtigung der NGO’s für Menschen mit Beeinträchtigung durch Wirtschaft und Behörden ist symptomatisch.
    Entweder werden diese nicht einbezogen oder wie beim Bahnhofparking Bern mit einem eingeschränkten Fragenkatalog.
    Mir fällt aber auch auf, dass die Vernetzung der Behindertenorganisationen unter einander mangelhaft ist und Informationen über Bau-, Sozialvorhaben und anstehende Vernehmlassungen nicht an ALLE kommuniziert werden.
    Mitglied Behindertenforum Zentralschweiz

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