Wohnungssuche im Rollstuhl in Bern: Livit lässt uns in der Kälte stehen

Im Kanton Bern müssen Bauten und Anlagen nach Möglichkeit so gestaltet werden, dass ihre Benützung auch den Behinderten offensteht. In Gebäuden mit vier oder mehr Stockwerken ist ein Lift einzubauen. Eine Kabine von Personenliften muss für Rollstuhlbenützer geeignet und auf der Höhe des Hauseingangs und auf allen Vollgeschossebenen zugänglich sein. Das alles sagt Art. 22 Baugesetz.

Leider nützen diese Gesetzesbestimmungen wenig, wenn – wie in der Stadt Bern inkl. Aussenquartiere – geschätzte 99% der Häuser noch vor ihrem Inkrafttreten gebaut wurden und sich seither nichts mehr an ihnen geändert hat. Die meisten Häuser, auch wenn sie vier oder mehr Stockwerke haben, haben keinen Lift. Wir hatten früher selbst in so einem Haus gewohnt, und ein Grossteil unserer Freunde lebt noch heute in solchen Häusern. Wenn’s dann ausnahmsweise mal einen Lift hat, befindet sich die Lifttüre sicher im Hochparterre, hinter unüberwindbaren sechs oder sieben Treppenstufen.

Zu unseren Kriterien für die Wohnungssuche zählt weiter ein Einstellhallenplatz, um im Trockenen vom und ins Auto transferieren zu können, was vor allem jetzt im verschneiten Winter dringend nötig ist. Auch das hat in Bern leider Seltenheitswert.

Lift UND Einstellhalle gibt’s zwar schon vereinzelt, dann aber meist wesentlich teurer, als wir uns das leisten können. Unsere Grenze liegt bei 2’000 Franken pro Monat und ich bin froh, mir das dank einer guten Arbeitsstelle leisten zu können. Schliesslich erhalten wir von der IV genau 0.00 Franken pro Monat.

Ein- bis zweimal pro Monat gibt es dann auch wirklich ein Stelleninserat, auf das wir uns melden können, und fragen dabei immer zuerst nach, ob’s mit dem Rollstuhl auch geht.

Beim ersten Versuch an der Hildanusstrasse in Bern, einer besonders hässlichen Hausreihe, finden wir uns zur öffentlichen Besichtigung ein. Bekanntlich zählen ja die inneren Werte, und der Grundriss sieht gut aus. Die eine Stufe zum Hauseingang ist auf jeden Fall machbar. Beim Lift können wir dann allerdings gleich umdrehen: Der ist höchstens halb so gross, als wir auf dem Grundriss ausgemessen hatten. Die halben Räder schauen hinten noch zur Türe hinaus. Die Frustration und Enttäuschung ist gross, da wir ja auch hier mit dem Immobilienmensch genau dieses Thema angesprochen hatten.

Unser zweiter Versuch führt uns nach Ittigen, gleich neben Bern gelegen, ins Talgut-Zentrum. Rund um den grossen Coop und weitere Läden reihen sich hohe Wohnhäuser. So grosse Blöcke sind uns zwar nicht besonders sympatisch, aber auch mit dieser Wohnung hätte ich einen kurzen Arbeitsweg. Wir wollen eine soeben komplett sanierte Wohnung mit schöner Beschreibung und Einstellhallenplatz besichtigen, die von der Livit AG, einem der grössten Immobilienbewirtschafter der Schweiz, verwaltet wird. Im Wohnungsinserat steht explizit „rollstuhlgängig (Lift)“.

Es hat frisch geschneit und alles ist winterlicht weiss. Trotzdem erscheinen wir mit nur drei Minuten Verspätung zum vereinbarten Termin. Die Immobilienberaterin ist jedoch nirgends zu sehen, auch nicht eine Viertelstunde später. Ich rufe die im Wohnungsinserat der Livit genannte Kontaktnummer an – und bin enttäuscht. Die Livit-Kollegin am andern Ende hört sich wenig hilfsbereit an und könne mir die Handy-Nummer der Beraterin nicht geben und sie auch selbst nicht erreichen: Sie habe ihre Handy-Nummer nämlich gar nicht. Das erscheint mir doch ziemlich unprofessionell. Schliesslich muss doch irgendwie der Kontakt mit den Beratern möglich sein, auch wenn die viel auswärts sind, um Wohnungen zu zeigen. Ich hinterlasse auf jeden Fall meine Details für den Fall, dass sie sich selbst im Büro meldet, wie ich es erwarten würde, wenn sie grosse Verspätung hat und uns nicht erreichen kann.

Eine weitere Viertelstunde später ist uns langsam aber sicher ziemlich kalt. Im Rollstuhl kann man ja nicht einfach so hin- und herlaufen, um warm zu bekommen. Immerhin kommt gerade eine Mieterin und lässt uns hinein. Hier warten wir weitere zehn Minuten, ohne dass die Beraterin auftaucht oder sich Livit meldet. Ich rufe also ein weiteres Mal bei Livit an, um zu sagen, dass wir uns jetzt auf den Nachhauseweg machen. Denn in der Zwischenzeit habe ich mal aus Interesse auf den uralten Lift-Knopf gedrückt, und die damit verbundenen Befürchtungen haben sich bestätigt: Auch hier ist der Lift zu klein. Allen Versuchen zum Trotz passt der Standard-Rollstuhl nicht hinein, auch nicht diagonal. Immer fehlen rund 20 Zentimeter, damit sich die Türe schliessen könnte. Auch wenn die Wohnung rollstuhlgängig ist, was wir wohl nie herausfinden werden: Wenn’s der Lift nicht ist, nützt das niemandem etwas.

Wir finden es eine absolute Frechheit, dass Livit die Wohnung als rollstuhlgängig anpreist, ohne den Lift ausgemessen zu haben. Entweder haben die Verantwortlichen bei Livit keine Ahnung, was die Mindestmasse für einen rollstuhlgängigen Lift sind, oder es ist ihnen schlicht und einfach egal. Beides wäre auf jeden Fall höchst unprofessionell und moralisch bedenklich. Ich habe die Telefondame, die noch immer nichts von der Beraterin gehört hat, aufgefordert, das „rollstuhlgängig“ im Inserat zu entfernen, und wende mich auch noch per E-Mail an Livit. Auf diese Erklärung bin ich gespannt!

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