Coronavirus: Ratschläge für Menschen im Rollstuhl

Das Coronavirus/COVID-19 hat die Schweiz und die Welt fest im Griff. Besonders gefährdet sind dabei nicht nur Menschen über 65 Jahren, von denen immer gesprochen werden, sondern auch viele jüngere Leute. Auch Menschen im Rollstuhl können zur Risikogruppe gehören, zum Beispiel aufgrund einer Vorerkrankung oder wenn sie Asthma, Diabetes oder ein geschwächtes Immunsystem haben. Der Bund scheint sie aber zu vergessen.

In diesem Beitrag versuchen wir, die relevanten Informationen zusammenzutragen, die Menschen im Rollstuhl in der Corona-Krise beschäftigen. Wir freuen uns auf Hinweise für Ergänzungen oder Korrekturen an info@rollstuhlblog.ch.

Wie schütze ich mich vor dem Coronavirus?

In erster Linie sollen die Anweisungen der Behörden befolgt werden: Bleibt möglichst zu Hause oder haltet draussen Abstand zu anderen Personen. Schüttelt niemandem die Hände. Berührt draussen nicht Euer Gesicht und wascht gründlich die Hände, wenn Ihr nach Hause kommt. Die vollständigen Ratschläge sind unter www.bag-coronavirus.ch zu finden.

Menschen im Handrollstuhl tragen am besten Handschuhe (normale dünne Handschuhe oder Einweg-Latex-Handschuhe) und desinfizieren die Greifringe, wenn sie wieder daheim sind. Weiter unten mehr zu Desinfektionsmittel.

Denkt beim Rausgehen daran, dass gewisse Parks und öffentliche Einrichtungen geschlossen sind und die dortigen öffentlichen Behinderten-WCs nicht mehr benützt werden können.

Soll ich eine Schutzmaske tragen?

Schutzmasken sind in einigen anderen Ländern bereits Pflicht für Leute, die nach draussen gehen. In der Schweiz wird eine Schutzmasken-Pflicht diskutiert, von den Behörden aber nicht für nötig gehalten. Ob das stimmt oder nur eine Ausrede dafür ist, dass gar nicht genügend Schutzmasken für die ganze Bevölkerung bereitstehen, können wir nicht beurteilen. Es ist umstritten, wie lange sich die Coronaviren in der Luft halten (vermutlich fallen sie relativ rasch zu Boden).

Nachvollziehbar ist, dass «richtige» medizinische Schutzmasken jetzt vor allem den Ärzten und dem Medizinpersonal zur Verfügung stehen sollen. Sowieso sind sie eigentlich überall ausverkauft. In vielen Ländern haben Leute deshalb begonnen – teilweise sogar auf Empfehlung der Behörden hin –, selbst Schutzmasken zu nähen. Dazu eignen sich vor allem dickere Baumwolltücher wie Küchentücher oder Duvet-Bezüge. Anleitungen dazu gibt es im Internet viele, zum Beispiel diese Anleitung der Feuerwehr Essen (D).

Wie man mit einem Bandana/Kopftuch/Foulard und zwei Haargummis eine behelfsmässige Schutzmaske improvisiert, zeigt dieses Video:

Wer noch Stoff zu Hause hat, kann auch eine Schutzmaske nähen, mit Einschub für einen Filter. Das haben wir gemacht und für die Bänder ein unnötiges Gummiband aus einer Winterjacke entnommen. Als Alternative hätten wir noch einen Gummizug für Pyjamahosen gehabt:

Achtung: Die selbst hergestellten Schutzmasken, aber auch die meisten kaufbaren Schutzmasken schützen nur begrenzt davor, sich selbst anzustecken. Sie beugen aber vor, dass Speichel oder Tröpfchen von infizierten Personen beim Niesen oder Sprechen auf der Haut landet. Auch Schutzbrillen, wie sie zum Beispiel in Chemie-Betrieben verwendet werden, können getragen werden. Sie helfen ebenfalls, das Gesicht zu schützen.

Wie steht es um Betreuungspersonen und Assistenten von besonders gefährdeten Personen?

Menschen mit Behinderungen, die im Alltag auf die Unterstützung von Ehepartnern, Familienmitgliedern oder Assistenten angewiesen sind, sind besonders gefährdet, wenn sie zur Risikogruppe gehören. Sie sind darauf angewiesen, dass sich diese Personen nicht mit dem Coronavirus anstecken, weil sie sich sonst zwangsläufig auch anstecken würden.

Aber genau hier versagen die Behörden. So schützt die COVID-19-Verordnung-2 nur Menschen der Risikogruppen (und seit der letzten Anpassung auch nicht mehr richtig). Ihre Betreuungspersonen gingen vergessen und werden deshalb rechtlich nicht geschützt. Sie müssen weiterhin arbeiten gehen, falls der Arbeitgeber darauf besteht. Eigentlich müssten für sie dieselben rechtlichen Vorkehrungen gelten wie für die Risikogruppe. Mein entsprechender Hinweis, den ich den zuständigen Behörden Mitte März 2020 zugeschickt habe, blieb bisher leider unbeantwortet und wurde nicht berücksichtigt.

Immerhin hat der Bund im April ein Merkblatt mit Empfehlungen für betreuende Angehörige erstellt.

Pro Aidant, der Schweizerischer Verein Betreuende Angehörige, hat einen Notfallplan für Angehörige erarbeitet. Mit diesem lassen sich Informationen zur Betreuung und Pflege so gut wie möglich einer anderen Person übergeben, falls das plötzlich nicht mehr selbst möglich ist. Der Notfall kann unter Angabe von Name und E-Mail-Adresse hier heruntergeladen werden.

Wer Assistenten hat, sollte sich mit ihnen absprechen. Bestenfalls werden sie ebenfalls versuchen, sich zu isolieren, um eine Übertragung der Krankheit zu vermeiden. Dieses Video zeigt einen Bericht des ORF. Jedoch sollte man sich schon Gedanken für einen Plan B machen, falls eine Assistentin oder ein Assistent glaubt, sich angesteckt zu haben.

Wie kaufe ich jetzt Lebensmittel ein?

In der Schweiz darf man bisher noch einkaufen gehen. Aber wir haben von mehreren älteren Leuten gehört, dass sie in den Supermärkten böse angeschaut werden. Dasselbe gilt wohl auch für Menschen im Rollstuhl – das können wir nicht beurteilen, da wir konsequent nicht mehr nach draussen gehen.

Gleichzeitig sind die Online-Shops von Coop und Migros aber hoffnungslos überlastet. Ich werde das Gefühl nicht los, dass es beide verpasst haben, ihre Kapazitäten frühzeitig zu erhöhen.

Weil Coop weiterhin eine Mindestbestellmenge von 100 Franken hat, können wir dort eigentlich sowieso nicht bestellen. Auch ein neuer Coop-Hauslieferdienst in und um Bern soll nur Personen über 65 Jahren, nicht aber der restlichen Risikogruppe zur Verfügung stehen. Da hat Coop leider sehr einseitig gedacht.

Im Migros-Onlineshop myMigros (keine Mindestbestellmenge, Gratislieferung ab 80 Franken) werden jeweils wochentags um 11.00 Uhr neue Lieferfenster aufgeschaltet – für drei Tage später. Plant also voraus, was Ihr dann benötigt, und legt die gewünschten Produkte schon in den Warenkorb. Sie bleiben dort gespeichert, bis Ihr um 11 Uhr ein Lieferfenster aussuchen könnt. Praktisch ist die Verknüpfung mit der Cumulus-Karte: So können bereits gekaufte Produkte einfach wieder bestellt werden, ohne sie lange im Onlineshop suchen zu müssen.

Migros hat in Bern, Biel, Thun sowie Basel, Zürich, Genf und Chur und den angrenzenden Gemeinden sein «Amigos»-Programm reaktiviert. In diesem können sich Freiwillige melden, die für die Besteller einkaufen gehen und die Einkäufe vorbeibringen. Ihnen kann man (online und freiwillig) ein Trinkgeld in der Höhe von 5 Franken geben. Gemäss der Mitteilung von Migros haben 14’000 Helfer so schon 5’000 Lieferungen ausgetragen. Nach dem Bezahlen (auf der Kreditkarte wird der ungefähre Betrag reserviert) sehen wir eine Liste möglicher Helfer für unseren Wohnort. Schon wenige Minuten später hat einer davon seinen Einsatz bestätigt. Erst, wenn er unseren Einkauf abliefert, wird unsere Kreditkarte belastet. Das Ganze überzeugt uns sehr. Schade, dass nicht das ganze Sortiment erhältlich ist (z.B. nur teurere Milch).

Wir haben die Angebote von myMigros und Amigos ausprobiert und waren sehr zufrieden. Ist ein Produkt nicht verfügbar, wird ein Ersatzprodukt gebracht.

Auch viele andere Lebensmittelhändler haben Bestellmöglichkeiten geschaffen, bei denen man anrufen kann (z.B. Loeb in Bern oder Manor in Biel und Thun).

Bei allen Lieferungen gilt: Abstand halten. Lieferungen werden in den Hauseingang gestellt und die Lieferperson geht dann gleich wieder, so dass kein direkter Kontakt stattfindet. Am besten bringt Ihr die Säcke dann in die Küche, wäscht die Hände, packt die Einkäufe aus und räumt sie ein, und geht danach nochmals Händewaschen.

Wie besorge ich andere Einkäufe?

Ausser Supermärkte und Apotheken sind die meisten Läden zu. Und auch in den Supermärkten sind nur Dinge für den täglichen Bedarf erhältlich, zu denen Blumen, Spielwaren, Papeterieprodukte und Kleider scheinbar nicht gehören. Da fragt man sich schon, wer das festgelegt hat.

Diese und weitere Produkte müssen also über Online-Shops bestellt werden. Wir empfehlen, dafür den Preisvergleichsdienst www.toppreise.ch zu nutzen. Gibt man bei Toppreise.ch ein bestimmtes Produkt ein, erscheint eine Liste mit Online-Shops. In dieser Liste sind die zum Teil sehr unterschiedlichen Preise, die Versandkosten und vor allem der Lieferstatus ersichtlich. Ein grünes Häkchen bedeutet, dass das Produkt ab dem eigenen Lager des Anbieters lieferbar ist. Wir empfehlen, nur bei einem solchen Anbieter zu bestellen, weil gerade jetzt in der Corona-Krise unklar ist, wann Nachlieferungen eintreffen.

Die Post erlebt zurzeit eine wahre Päckli-Flut, wie sie sonst nur vor Weihnachten herrscht. Kein Wunder. Es kann also zu Verzögerungen bei der Auslieferungen kommen. Gerade bei den grossen Anbietern wie Zalando, Digitec oder Ikea will die Post sogar eine Begrenzung der Anzahl Pakete einführen oder hat das schon gemacht.

Wo kriege ich jetzt noch Desinfektionsmittel her?

Desinfektionsmittel sind fast überall ausverkauft. Einige Apotheken stellen deshalb Desinfektionsmittel selbst her. Am besten fragt Ihr bei Eurer üblichen Apotheke nach – am besten natürlich telefonisch. Sie reservieren Euch sicher gerne ein bisschen davon. Bei vielen dieser Apotheken könnt Ihr Eure eigene Flasche mitbringen und auffüllen lassen. Dazu eignen sich aufgebrauchte Desinfektionsmittelflaschen, oder auch jede andere saubere Pumpflasche.

Kann ich auch fertige Mahlzeiten bestellen?

Ja. Weil Restaurants nicht mehr geöffnet haben dürfen, haben viele auf ein Take-Away- und/oder Lieferangebot umgestellt. Das fertige Essen kann man entweder beim Restaurant selbst bestellen (schaut auf ihren Webseiten nach), oder über Uber Eats oder eat.ch.

Wir haben Uber Eats ausprobiert und waren nicht besonders zufrieden. Der Bestellvorgang ist unpraktisch und es gab nirgends ein Feld für die Strasse, weshalb der Lieferer dann anrufen musste, um die Adresse zu erfragen. Und wir mussten zwei Stunden auf das Essen warten. Die Wartezeit war nicht besonders toll, gerade weil man bei vielen Restaurants erst ab 17.30 Uhr bestellen kann und wir dann wirklich ausgehungert waren. Das Essen war aber sein fein – rechnet hier einfach genügend Zeit und macht schon mal einen Apéro.

Wo erhalte ich andere Unterstützung?

In vielen Gemeinden wurde in der Zwischenzeit Freiwilligenangebote aufgebaut, an die man sich wegen dem Einkaufen, Fahrten zum Arzt oder in die Therapie, Tiere betreuen, Kinder betreuen oder sonstigen Anliegen wenden kann. Informiert Euch am besten auf der Webseite Eurer Wohngemeinde, falls kleine Flugblätter verteilt oder Plakate aufgestellt wurden.

Was mache ich bei Problemen mit dem Rollstuhl?

Werkstätten für Transportmittel sind von der behördlichen Schliessung nicht betroffen und dürfen weiterhin offen bleiben. Dazu gehören auch Rollstuhl-Werkstätten. Bitte informiert Euch bei Eurem Anbieter und erkundigt Euch über die angepassten Abläufe für Service oder Reparaturen.

Zum Beispiel hat hock’n roll in Bern ein System mit Bringen und Abholen eingerichtet, bei dem die Hilfsmittel deponiert werden können, so dass kein direkter Kontakt stattfindet.

Wie halte ich Kontakt mit Familie und Freunden?

Gerade jetzt finden wir es schön und besonders wichtig, mit der Familie und Freunden in Kontakt zu bleiben. Schreibt keine Briefe, da die Post ja bereits überlastet ist. Ruft sie an, schreibt SMS oder Whatsapp-Nachrichten, oder macht Videotelefonate. So können auch gleich mehrere Leute zusammen sprechen und sich dabei auch wirklich sehen.

Beim Videotelefonieren gibt es viele verschiedene Anbieter. Bei einigen ist es nötig, eine Software auf den Computer zu laden (z.B. Zoom, Skype, Blizz), bei anderen reicht es, ein Konto zu eröffnen (z.B. Google Hangout) oder wenn alle Teilnehmenden Geräte von Apple nutzen (Facetime mit Apple-Computern und iPhone/iPad/iPod Touch).

Was tue ich bei einer möglichen Infizierung?

In vielen Kantonen wurden in der Zwischenzeit Testcenter eingerichtet. Im Kanton Bern gibt es seit ein paar Tagen auf dem Bernexpo-Gelände ein «Drive-in Corona-Testzentrum», wo sich Personen testen lassen können, die glauben, vom Coronavirus infiziert zu sein. Das Berner Testzentrum ist rollstuhlgängig. Informationen zur Zulassung und dem Ablauf sind in der Medienmitteilung und auf www.be.ch/corona zu finden. Das Testresultat folgt dann später per SMS, und falls nötig weitere Informationen.

(KEYSTONE/Ti-Press/Alessandro Crinari)
Foto von bernerzeitung.ch, © KEYSTONE/Ti-Press/Alessandro Crinari

Das Gesundheitssystem in der Schweiz scheint soweit mit der Anzahl der Patienten klarzukommen. Momentan können sämtliche Coronavirus-Patienten behandelt werden, die eine Spitalpflege benötigen. Die Schweizerische Akademie der Medizin-Wissenschaften (SAMW) hat auch festgehalten, dass der Zugang zu ärztlicher Behandlung ohne Diskriminierung erfolgen muss. Alle erhalten den Zugang, unabhängig von Alter, Geschlecht, Wohnort, Nationalität, religiöser Zugehörigkeit, sozialer Stellung, Versicherungsstatus oder chronischer Behinderung. Dies im Gegensatz zum Beispiel zu Frankreich, wo Personen über 80 Jahre nicht mehr behandelt werden, oder England, wo auch Vorerkrankungen eine Rolle spielen, womit viele Menschen mit Behinderungen die Hilfe verweigert würde.

Die SAMW hat in der Zwischenzeit jedoch ihre Triage-Richtlinien angepasst. Für den Fall, dass das Gesundheitssystem überlastet ist und nicht mehr alle Patienten behandelt werden können, ist die kurzfristige Prognose entscheidend. Obwohl das Alter an sich kein Kriterium sein darf, können im höheren Alter auftretende Krankheiten als Risikofaktoren für die Sterblichkeit herangezogen. Humanrights.ch wirft vor, dass die SAMW Personen über 85 Jahren dann nicht mehr intensivmedizinisch betreuen will. Eine körperliche Behinderung wird in den meisten Fällen jedoch kein Grund sein, den Behandlungsplatz einer anderen Person zuzuweisen.

Hat jemand weitere Tipps?

Wir freuen uns über weitere Tipps, mit denen wir diese Liste ergänzen können.

Bleibt zu Hause, bleibt gesund!

Einen Kommentar verfassen