Im Rollstuhl in Basel Tram fahren: der Horror!
Wir sind ein ganzes Wochenende in Basel und haben vom Hotel eine Gratis-ÖV-Karte erhalten. Wir lassen zur Abwechslung also mal das Auto stehen und fahren Tram. Das ist echt der Horror! Nur noch sechs Jahre vor Ablauf der Frist, bis zu der alle ÖV-Haltestellen hindernisfrei sein müssen, verteidigt Basel einmal mehr seinen Ruf als rollstuhlfeindlichste Stadt der Schweiz.
Unser Hotel liegt direkt am Barfüsserplatz. Doch trotz direktem Blickkontakt zur gleichnamigen Tramhaltestelle gelangen wir nicht dorthin. Denn zwischen dem oberen und unteren Teil des Platzes gibt es lediglich eine Treppe; keine Rampe und kein Lift. Wir müssten einmal um den Block gehen. Stattdessen nehmen wir den Schleichweg zur Haltestelle „Theater“. Von hier aus fahren wir mit dem gelben Tram der BLT Linie 10 zum Zolli.
Schon beim Einsteigen fällt der grosse Höhenunterschied zwischen Trottoir und Tram auf – und auch der grosse seitliche Abstand. Ein Selbstfahrer könnte den kaum überwinden.
Das Tram ist lang und hat viele Türen. Doch nur eine einzige Türe im vordersten Wagen weist das Rollstuhl-Symbol auf und verfügt über eine Klapprampe – nicht die im Foto oben. Okay, wieder etwas dazugelernt. Aber natürlich traurig, dass damit maximal zwei Rollstühle pro Tram Platz haben, in dem es 268 Steh- und Sitzplätze gibt. Und das auch nur, wenn hier nicht bereits zwei Kinderwagen stehen (die könnten auch bei den meisten anderen Türen parkiert werden).
Der Basler Zoo ist übrigens grossartig und abgesehen von zu grossen Gefällen und gewissen Ausnahmen rollstuhlgängig. Unbedingt besuchen! Auch wenn’s nirgends angeschrieben ist: An der Kasse erfahren wir, dass für die Person im Rollstuhl der Eintritt kostenlos ist, die Begleitperson bezahlt 10 Franken (statt 21 Franken).
Auf dem Rückweg sind wir dann schon geübter und warten beim Rollstuhlsymbol, das auf dem Perron aufgemalt ist. In diesem Bereich soll der rollstuhlgängige Eingang der einfahrenden Trams zu stehen kommen. Doch das klappt gar nicht. Obwohl der Chauffeur uns sicher und auch rechtzeitig gesehen haben muss, hält das Tram etwa zehn Meter hinter der Markierung.
Auch an dieser Haltestelle ist das Trottoir horizontal und vertikal weit vom Einstieg entfernt. Zwar verfügt das moderne Tram über eine altmodische Klapprampe (für elektrische Rampen Geld auszugeben hat glaube ich bisher kein Schweizer Transportunternehmen für nötig befunden), aber die ist wohl eher Dekoration. Aber vielleicht gibt es ja geheime Zeichen, die man dem Chauffeur geben muss, damit dieser fragt, ob er die Rampe ausklappen soll oder nicht. Schade, dass wir die nicht kennen.
Später warten wir dann doch am Barfüsserplatz auf ein Tram der BVB Linie 16, um zur Markthalle zu fahren. Doch dieses Vorhaben gestaltet sich schwieriger als gedacht. Der Berfüsserplatz ist eine Doppelhaltestelle, an der zwei Trams hintereinander halten. Doch im Gegensatz zu den übrigen Wartenden können wir nicht durch eine beliebige Türe einsteigen, sondern müssen um alle anderen Leute herumkurven, um zum Rollstuhleingang zu gelangen. Als wir einsteigen wollen, schliesst der Chauffeur gerade die Türen und fährt los.
Das nächste Tram hält in unserer Nähe im vorderen Bereich der Doppelhaltestelle. Und schon zeigt sich das nächste Problem: Die Haltestelle befindet sich in einer Kurve und die Tramtüre befindet sich dermassen weit weg vom Trottoir, dass der Abstand mit dem Rollstuhl nicht zu überwinden ist: Selbst mit den Hinterrädern auf der Trottoirkante reichen die Vorderräder nicht zur Tür. Eine Rampe gibt es nicht.
Wenigstens hält das nächste Tram im hinteren, geraden Bereich und wir schaffen es, einzusteigen. Wie schon das vorherige BVB-Tram ist es nicht ganz so modern wie das der BLT. Ausser dem Niederflurbereich im hinteren Wagen gibt es bei allen Türen Stufen. Und beim Niederflurbereich-Eingang gibt’s wie gesagt nicht mal eine Klapprampe.
Wir fahren also bis zur Haltestelle Markthalle und wundern uns: Das Tram hält mitten auf der Strasse an, weit weg vom Trottoir. Das ist wohl die Haltestelle. Ich ziehe den Rollstuhl vorsichtig rückwärts aus dem Tram und der neigt sich immer mehr und mehr gegen hinten, bis die Rückenlehne fast parallel zum Boden geneigt ist. Ein absolut gemeingefährlicher Winkel für die Person im Rollstuhl und keine Chance für Selbstfahrer, hier ein- oder auszusteigen. An ein Einsteigen ist hier selbst mit Begleitperson nicht zu denken. Und wie gesagt: In diesem Tram existiert nicht mal eine Klapprampe.
Doch das Problem hört hier noch nicht auf. Nach dem Verlassen des Trams stehen wir auf der Strasse und sind hier mehr oder weniger gefangen. Neben uns befindet sich eine schier unüberwindbare Stufe zum Trottoir hin. Das ist schon daran zu erkennen, dass der übliche Randstein (der sonst mit Begleitperson kein Problem darstellt) nicht am Boden beginnt, sondern erst ein paar Zentimeter über der Strasse! Das Trottoir ist auch nirgends abgeflacht. Hinter dem Tram warten bereits Autos, Roller und Velos darauf, dass das Tram wieder losfährt und auch sie weiterfahren können. Jänu, wir laufen ihnen trotzdem entgegen, denn dort, etwa 20 Meter hinter dem Tram, befindet sich der nächste Fussgängerstreifen und damit die einzige Gelegenheit weit und breit, aufs sichere Trottoir zu kommen. Dort bleiben wir erstmal stehen und erholen uns vom Schock.
Wir kennen zu Hause in Bern auch Tramhaltestellen zur Strasse hin. Dort ist die Strasse im Bereich der Haltestelle dann aber erhöht, damit kein derart grosser Höhenunterschied entsteht.
Als gerade kein Auto mehr kommt, mache ich noch ein Foto des unüberwindbaren Randsteins, der über dem Boden beginnt.
Wir essen etwas in der Markthalle (feine Essensstände! Müsst Ihr unbedingt selbst erleben!) und verlassen sie durch den unteren Ausgang. Vom Tramfahren haben wir erstmal genug. Wir nehmen den Lift zum hinteren Teil des Parkhaus Elisabethen (hier fehlen Behindertenparkplätze auf dieser Seite) und durchqueren es, um es im vorderen Teil zur Heuwaage hin wieder zu verlassen. Wir gehen zurück zum Hotel. Dieses verlassen wir nur noch wieder mit dem Auto.
Forderung: Die BVB und die BLS sollen die gesetzlichen Vorgaben so bald wie möglich, sicher aber rechtzeitig auf den verschobenen Termin hin erfüllen und vor allem dafür sorgen, dass solche unmöglichen Haltestellen, bei denen man zur Strasse hin oder in Kurven aussteigen muss, raschmöglichst umgebaut werden. Auch müssen die Tramführer ermahnt werden, genauer beim Wartebereich für Rollstuhlfahrer anzuhalten und immer zu fragen, ob Hilfe benötigt wird oder nicht. Und natürlich sollen BVB und BLS endlich einsehen, dass die Klapprampen nichts bringen und das bisschen mehr Geld für elektrische Rampen investieren, die bei neuen Trams sicher nur einen Bruchteil des Kaufpreises ausmachen. Und das auch nicht nur für eine, sondern für mehrere Türen. Wir sind jedenfalls von beiden Trambetrieben und der Stadt Basel enttäuscht.
Update: Die Basler Verkehrsbetriebe antworten auf Facebook:
„Der Umbau aller Haltestellen passiert unter Federführung des Amts für Mobilität, Details – auch bzgl. der Haltestelle Markthalle – erhalten Sie dort. Sämtliche Flexity- und Combino-Trams, sowie praktisch alle Busse der BVB verfügen über Klapprampen (bei Türe 2). Damit verfügt die BVB spätestens ab 2018 über eine der modernsten Flotten überhaupt.
Ein normales Handzeichen (Winken) genügt, unser Fahrpersonal ist entsprechend geschult und hilft Ihnen gerne beim Ein- und Ausstieg wo nötig.“
Und: „Unser Fahrpersonal hilft Ihnen jederzeit gerne beim Ein- und Ausstieg.“
Klar gibt es in diesem Bereich noch viel zu tun. Und grad aktuell wird auch einiges getan.
Der grösste Teil der Tramfahrzeuge werden zur Zeit ersetzt. Mit Klapprampen notabene, weil elektrische einfach nicht wirklich umsetzbar sind, jedenfalls nicht nach dem heutigen Stand der Technik und zu einem vernünftigen Preis. Zudem funktioniert das mit dem Rampen meisten sehr gut. Da diese durch den Wagenführer bedient werden befinden sie sich auch an der ersten Türe.
Weiter werden zur Zeit viele Haltestellen umgebaut und dabei so gestaltet das auch mit einem Rollstuhl ebenerdig ins Tram gefahren werden kann, und das nicht nur an einer Türe.
Leider gibt es halt in Basler Tram Netz welches durch die Enge und verwinkelte Innerstadt führt viele Haltestellen welche nicht in eine geraden liegen. Hier wird es nie ohne Kompromisse gehen. Die einzige konsequente Möglichkeit wäre wohl in diesen Fällen die Stationen einfach ersatzlos zu streichen.
Und natürlich benötigen all diese baulichen Veränderungen Zeit und kosten Geld. Ausgaben welche nicht immer von der Mehrheit der Bevölkerung gutgeheissen werden.
Schlussendlich fällt aber auch hier wieder mal auf welch hohem Niveau wir hier Reklamieren. Ich kenn Länder auf dieser Erde da wären die Leute froh wenn ein überhaupt ein öffentliches Verkehrsmittel verkehren würde. Und Orte wo zwar ein solches Fährt aber die Züge und Busse immer hoffnungslos überfüllt sind.
Nun Forderungen sind immer schnell gestellt, aber manchmal kann man den Bogen auch überspannen.
Danke für den Kommentar, Alex. Deine Meinung kann ich allerdings nicht teilen:
In der Schweiz reklamieren wir nicht auf hohem Niveau, sondern auf sehr tiefem. Denn im Vergleich mit unseren Nachbarländern und andern Erst-Welt-Ländern bildet die Schweiz leider das traurige Schlusslicht. Unsere Gesetze und die Einstellung der Bevölkerung ist sehr rückständig.
Elektrische Rampen sind problemlos umsetzbar. Die Hersteller bieten sie an – auch bei den neuen Basler Trams, die 2018 geliefert werden –, aber auf diese Ausgabe wird gerne verzichtet. In England verfügen Busse seit vielen Jahren über elektrische Rampen, die super funktionieren und immer wieder eine Freude sind.
Ansonsten wiederhole ich hier gerne meine Antwort, die ich vor kurzem auf Facebook gegeben habe:
Die Klapprampe erfüllt den Zweck und bekäme als Schulnote eine 4 – genügend. Schade, dass sich viele Verkehrsbetriebe ihren Passagieren mit einer Gehbehinderung gegenüber als Minimalisten geben und keine 5 oder sogar 6 anstreben.
Das Problem mit der Klapprampe ist: Man ist immer auf Hilfe angewiesen und damit von andern abhängig. Alleine einsteigen geht nicht. Und es ist umständlich: Der Tramführer muss seinen Platz verlassen, nach hinten kommen, die Rampe ausklappen und nach dem Einsteigen/Aussteigen wieder einklappen. Das ist laut und auffällig. Alle Leute schauen also zu, was passiert. Obwohl man als Rollstuhlfahrer möglichst nicht auffallen will (normal gehende Passagiere werden ja auch nicht von allen im Tram beim Einsteigen beobachtet). Und die Leute verbinden mit der Person im Rollstuhl negative Gefühle. Wegen ihm/ihr kommt es zu einem Unterbruch – solange der Tramführer hier ist und nicht auf seinem Platz sitzt, fährt das Tram nicht weiter. Wegen der Person im Rollstuhl kommen sie also zu spät ans Ziel. Und die Klapprampe gibt’s nur bei der vordersten Türe, weil der Tramführer ja nicht 45 Meter durchs Tram laufen kann, um bei den hinteren Türen eine Rampe auszuklappen. Dies beschränkt die Kapazität punkto Personen im Rollstuhl auf 1 oder 2 pro Tram.
Eine elektrische Rampe würde sich alleine und ganz leise und schnell aus- und wieder einfahren (oder zumindest gefühlt, vielleicht muss hier der Tramführer ein Knöpfchen drücken). Vielleicht bekommen das die übrigen Passagiere nicht mal mit. Es könnten auch mehrere Rampen pro Tram eingebaut werden, zum Beispiel auch im Niederflurbereich im Anhängerwagen von alten Trams. Hoffentlich ist das alles nachvollziehbar.
Am 11. Mai 2017 gab es dazu auch einen Beitrag im „10 vor 10“. Das Ziel lautet: autonomes Ein- und Aussteigen für alle (also ohne fremde Hilfe). Zum Beitrag:
10vor10-Beitrag: Für Behinderte ist ÖV-Fahren immer noch schwierig