Viele Feuerwehrreglemente benachteiligen Menschen mit Behinderungen direkt oder indirekt

Die Stadt Bern führt eine allgemeine Feuerwehr-Dienstpflicht und eine Ersatzabgabe ein. Menschen mit Be­hinderung und ihre betreuenden Angehörigen werden auf Gesuch hin von beidem befreit, sofern sie nicht zu den Besser­verdienenden gehören. Ich vergleiche diese Regelung mit den Bestimmungen anderer Berner Städte und mit den kantonalen Vorgaben.

Der Gemeinderat der Stadt Bern hat das Feuerwehrreglement komplett überarbeitet. Neu ist darin eine allgemeine Feuerwehrdienstpflicht für alle Einwohnerinnen und Einwohner Berns vorgesehen, konkret für alle Frauen und Männer mit schweizerischem Bürgerrecht oder einer Niederlassungsbewilligung zwischen dem 19. und 52. Altersjahr.

Gemäss dem vorgesehenen Artikel 12 des Feuerwehrreglements können gewisse Personengruppen vom aktiven Feuerwehrdienst befreit werden. Dazu ist ein Gesuch nötig. Dies gilt für:

  1. Personen, die amtliche Funktionen ausüben, die mit dem aktiven Feuerwehrdienst nicht vereinbar sind,
  2. Personen, die eine ganze Invalidenrente beziehen,
  3. Personen, deren Behinderung sie bei der Leistung von aktivem Feuerwehrdienst wesentlich beeinträchtigt,
  4. Personen, die im eigenen Haushalt lebende Kinder bis zu Beendigung der Volksschulpflicht oder Pflegebedürftige allein oder hauptverantwortlich zu betreuen haben.

Das Reglement hält fest, dass die Feuerwehrdienstpflicht durch das Leisten von aktivem Feuerwehrdienst oder durch die Bezahlung einer Ersatzabgabe erfüllt werden kann, und dass kein Anspruch darauf besteht, aktiven Feuerwehrdienst zu leisten. Tatsächlich verfügt die Stadt Bern bereits über eine Berufsfeuerwehr. Es liegt damit auf der Hand, dass es der Gemeinderat in erster Linie auf die zusätzlichen Einnahmen abgesehen hat, die dank der Ersatzpflicht in die Stadtkasse strömen. Bisher (und weiterhin) wird die Feuerwehr über Steuereinnahmen finanziert, solange Lösch- und Einsatzgebühren die Kosten nicht decken.

Die Ersatzabgabe beträgt 7.5% der einfachen Steuer und ist auf 450 Franken pro Person und Jahr begrenzt. Die in den Buchstaben b bis d genannten Personen sind von der Ersatzabgabe befreit, sofern ihr steuerbares Einkommen weniger als 100’000 Franken und ihr steuerbares Vermögen weniger als eine Million Franken beträgt (Artikel 13). Ist eine Person von der Feuerwehrdienst- bzw. Ersatzabgabepflicht befreit, bezahlt das Ehepaar oder in eingetragener Partnerschaft lebende Paar eine halbe Ersatzabgabe, die sich auf dem gemeinsamen steuerbaren Einkommen und Vermögen berechnet (Artikel 20 Absatz 4).

Der rechtliche Rahmen ist vorgegeben

Die Gemeinden dürfen in ihren Reglementen und Verordnungen nicht einfach beliebige Regeln aufstellen, sondern sind an das sogenannte übergeordnete Recht gebunden: Sie müssen sich an den rechtlichen Rahmen halten, der vom Kanton im Feuerschutz- und Feuerwehrgesetz FFG des Kantons Bern vorgegeben wird. Innerhalb dieses Rahmens steht es den Gemeinden frei, die verpflichteten Personen besserzustellen. Eine Schlechterstellung ist hingegen unzulässig.

Die Gemeinden dürfen frei festlegen, ob und nach welchen Grundsätzen Personen zum Feuerwehrdienst verpflichtet werden oder ob der Feuerwehrdienst freiwillig ist (Artikel 25). Der Kanton bestimmt jedoch, dass gewisse Personen auf Gesuch hin vom aktiven Feuerwehrdienst befreit werden. Seine Liste ist identisch mit der von der Stadt Bern vorgesehenen Liste mit den Buchstaben a-d.

Wenn jemand vom aktiven Feuerwehrdienst befreit ist, kann die Gemeinde eine Ersatzabgabe einführen oder darauf verzichten (Artikel 28). In Bezug auf Menschen, die eine ganze Invalidenrente beziehen oder deren Behinderung sie bei der Leistung von aktivem Feuerwehrdienst wesentlich beeinträchtigt, dürfen nur Besserverdienende zur Kasse gebeten werden. Das Gesetz sieht vor, dass diese Personen nur von der Ersatzabgabe befreit sind, wenn und solange ihr steuerbares Einkommen weniger als 100’000 Franken und ihr steuerbares Vermögen weniger als eine Million Franken beträgt. Hier reizt die Stadt Bern den kantonalen Rahmen vollständig aus.

Der Kanton legt ausdrücklich fest, dass betreuende Angehörige nicht von der Ersatzpflicht befreit werden müssen, aber können. Mit der Ersatzpflicht nur für Besserverdienende, wie sie auch für Personen mit einer ganzen Invalidenrente oder mit einer Behinderung gilt, hat sich die Stadt Bern für einen Mittelweg entschieden.

Der Vergleich mit anderen Städten im Kanton Bern

Ich habe die Feuerwehr-Reglemente von Gemeinden im Kanton Bern mit einer Einwohnerzahl über 15’000 in Bezug auf die Ersatzpflicht untersucht:

Gemeinde Menschen mit ganzer/voller IV-Rente Menschen mit teilweiser IV-Rente (Invaliditätsgrad <70%) Menschen mit einer Behinderung Betreuende Angehörige
Bern
Geplantes Reglement
Ersatzpflicht ab einem Einkommen von 100’000 Franken und einem Vermögen von einer Million Franken. sind feuer­wehr­dienst­pflich­tig Ersatzpflicht ab einem Einkommen von 100’000 Franken und einem Vermögen von einer Million Franken Ersatzpflicht ab einem Einkommen von 100’000 Franken und einem Vermögen von einer Million Franken. Ehe­part­ner_innen oder eingetragene Part­ner_innen von Menschen mit ganzer IV-Rente oder mit Be­hin­de­rung bezahlen nur eine halbe Ersatz­abgabe
Biel
Reglement
Ersatzpflicht ab einem Einkommen von 100’000 Franken und einem Vermögen von einer Million Franken sind feuer­wehr­dienst­pflich­tig Ersatzpflicht ab einem Einkommen von 100’000 Franken und einem Vermögen von einer Million Franken Ersatzpflicht
Burgdorf
Reglement
Ersatzpflicht ab einem Einkommen von 100’000 Franken und einem Vermögen von einer Million Franken sind feuer­wehr­dienst­pflich­tig auf Gesuch hin vollständige Befreiung von der Ersatz­pflicht sind feuer­wehr­dienst­pflich­tig, ausser sie sind ledig, gericht­lich getrennt, geschieden oder verwitwet. In diesem Fall auf Gesuch hin voll­ständige Befreiung von der Ersatzpflicht
Köniz
Reglement
vollständige Befreiung von der Ersatz­pflicht vollständige Befreiung von der Dienst- und Ersatz­pflicht sind feuer­wehr­dienst­pflich­tig Ersatzpflicht
Langenthal
Reglement
Ersatzpflicht ab einem Einkommen von 100’000 Franken und einem Vermögen von einer Million Franken. sind feuer­wehr­dienst­pflich­tig Ersatzpflicht ab einem Einkommen von 100’000 Franken und einem Vermögen von einer Million Franken Ersatzpflicht ab einem Einkommen von 100’000 Franken und einem Vermögen von einer Million Franken
Lyss
Reglement
Ersatzpflicht ab einem Einkommen von 100’000 Franken und einem Vermögen von einer Million Franken. sind feuer­wehr­dienst­pflich­tig Ersatzpflicht ab einem Einkommen von 100’000 Franken und einem Vermögen von einer Million Franken Ersatzpflicht, ausser für Ehe­part­ner_innen von Menschen mit ganzer IV-Rente oder mit Be­hin­derung unterhalb der Ein­kom­mens- bzw. Ver­mö­gens­schwelle
Oster­mundigen
Reglement
auf Gesuch hin vollständige Befreiung von der Ersatz­pflicht auf Gesuch hin vollständige Befreiung von der Dienst- und Ersatz­pflicht auf Gesuch hin vollständige Befreiung von der Ersatz­pflicht Ersatzpflicht
Steffisburg
Reglement
vollständige Befreiung von der Ersatz­pflicht sind feuer­wehr­dienst­pflich­tig vollständige Befreiung von der Ersatz­pflicht Ersatzpflicht. Ehe­part­ner_innen von Menschen mit ganzer IV-Rente oder mit Be­hin­de­rung bezahlen nur eine halbe Ersatz­abgabe
Thun
Reglement
vollständige Befreiung von der Ersatz­pflicht sind feuer­wehr­dienst­pflich­tig vollständige Befreiung von der Ersatz­pflicht auf Gesuch hin voll­ständige Befrei­ung von der Ersatz­pflicht

Der Vergleich zeigt: Beste Gemeinde ist Thun, Biel bildet das Schlusslicht. Die Stadt Biel reizt das erlaubte Maximum vollständig aus, um Menschen mit Behinderungen und betreuende Angehörige finanziell zu belasten. Die in der Stadt Bern geplante Regelung liegt im Mittelfeld.

Burgdorf scheint die Situation von betreuenden Angehörigen nicht verstanden zu haben, indem nur ledige, gericht­lich getrennte, geschiedene oder verwitwete Personen vom aktiven Feuerwehrdienst ausgenommen sind. Betreuende Angehörige, die mit der Person mit Behinderung verheiratet sind oder in eingetragener Partnerschaft leben, sollen hingegen zum Feuerwehrdienst gezwungen werden. Das ist nicht nur unlogisch, sondern verstösst auch gegen die kantonalen Vorgaben.

Auch Köniz ist begriffsstutzig. Dort werden Menschen mit einer Behinderung nicht von der aktiven Feuerwehrpflicht befreit und sind damit nicht nur dienstpflichtig, sondern auch ersatzpflichtig. Dies verstösst ebenfalls gegen die kantonalen Vorgaben. Vermutlich gingen die gesetzgebenden Personen in Köniz fälschlicherweise davon aus, dass alle Menschen mit einer Behinderung automatisch eine Invalidenrente erhalten und sie so damit von der aktiven Feuerwehrpflicht befreit seien. Dies ist jedoch nicht der Fall. Liebe Könizer_innen, auch viele Menschen mit einer Behinderung können arbeiten. Eine Invalidenrente erhalten sie nur, wenn ihr Einkommen aufgrund des Gesundheitsschadens deutlich tiefer liegt als ohne gesundheitliche Beeinträchtigung.

Ich habe beide Gemeinden kontaktiert und sie auf ihre Verstösse aufmerksam gemacht.

Generelle Kritik an den kantonalen Vorgaben

Insgesamt scheinen die kantonalen Vorgaben zweckmässig zu sein, um Menschen mit Behinderungen und ihre betreuenden Angehörigen vor einer Benachteiligung zu schützen – aber nicht mehr als das. In zwei Punkten erscheint der Schutz ungenügend:

  • Nur Personen, die eine ganze Invalidenrechte beziehen, sind vom aktiven Feuerwehrdienst befreit. Wer aufgrund einer gesundheitlichen Beeinträchtigung einen Invaliditätsgrad von maximal 69% hat und deshalb eine teilweise Invalidenrente erhält, ist trotzdem feuerwehrdienstpflichtig und ansonsten voll ersatzpflichtig, sofern er oder sie nicht in die Kategorie c fällt. Dies ist stossend. Zwei der grösseren Gemeinden, Köniz und Ostermundigen, haben dies erkannt und befreien auch Menschen, die nur eine Teilrente der IV beziehen, vom aktiven Feuerwehrdienst und von der Ersatzpflicht.
  • Betreuende Angehörige, die einen Mensch mit Behinderung alleine oder hauptverantwortlich betreuen, sind zwar vom aktiven Feuerwehrdienst befreit, nicht aber von der Ersatzpflicht. Die meisten Gemeinden sehen deshalb auch eine Ersatzabgabe für betreuende Angehörige vor, oft gekoppelt an die Einkommens- und Vermögensschwelle, und zum Teil mit unklaren Formulierungen in Bezug auf Ehe- oder eingetragene Partnerschaften. Nur die Stadt Thun sieht eine vollständige Befreiung von der Ersatzpflicht für betreuende Angehörige vor.
  • Assistenzpersonen von Menschen mit Behinderungen werden vom Gesetz komplett vergessen oder bewusst nicht erfasst. Dabei können auch sie nicht einfach dem Ruf zu einem Feuerwehreinsatz folgen, sondern müssen sicherstellen, dass die von ihnen betreute Person die notwendige Assistenz erhält.

Der vom Kanton Bern vorgegebene gesetzliche Rahmen benachteiligt Menschen mit Behinderungen direkt oder indirekt. Es wäre schön, wenn ihr Schutz vollständiger wäre, indem auch Personen mit einer teilweisen Invalidenrente vom aktiven Feuerwehrdienst befreit werden. Ausserdem sollte die Ersatzpflicht nicht von einem bestimmten Einkommen und Vermögen abhängig sein, sondern alleine von der Tatsache, ob aufgrund einer Behinderung oder einer Betreuung die Leistung von aktivem Feuerwehrdienst zumutbar ist oder nicht. Im letzteren Fall sollte meiner Meinung nach vollständig auf eine Ersatzpflicht verzichtet werden.

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