Schwangere gehören neu auch zur Risikogruppe, aber…

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) setzt neu auch Schwangere auf die Liste der Risikogruppe. Gleichzeitig verpasst es das BAG aber, die Risikogruppe erneut rechtlich zu schützen. Denn ihr Schutz wurde Ende Juni aufgehoben. Auch die Liste der Risikogruppe gilt seither nicht mehr. Das System hat versagt.

Schutzmaske am Boden

Es nützt Schwangeren nichts, dass sie neu zur Risikogruppe gehören. Denn besonders gefährdete Personen werden seit Ende Juni 2020 rechtlich überhaupt nicht mehr geschützt. Ihr Schutz ist bei der letzten Lockerung der Coronavirus-Massnahmen Ende Juni komplett weggefallen. Auch die Liste der Risikogruppen, auf die Schwangere jetzt gesetzt werden, existiert seither nicht mehr – zumindest rechtlich gesehen. Denn der Schutz und die Liste der besonders gefährdeten Personen waren ein Teil der COVID-19-Verordnung 2 (Art. 10b und 10c und die Liste in Anhang 6), die am 22. Juni 2020 aufgehoben wurde. In der seither gültigen COVID-19-Verordnung 3 ist beides nicht mehr enthalten. Seither gibt es keinen Schutz für die Risikogruppen mehr, und auch keine rechtlich verbindliche Liste.

Kein Schutz von Schwangeren

Tatsächlich wusste das BAG bei der Medienkonferenz am 5. August 2020 kurz nicht weiter, als von einem Journalisten gefragt wurde, wie denn Schwangere nun geschützt seien. Die Dame verwies auf die Schutzpflicht des Arbeitgebers, wie das BAG-Leiter Pascal Strupler in einer Antwort an uns bereits getan hatte.

Beide vergessen aber, dass die in Art. 328 Obligationenrecht und Art. 6 Arbeitsgesetz enthaltene Schutzpflicht für alle Arbeitnehmenden gilt. So müssen Arbeitgeber unabhängig von der Coronakrise die nötigen Massnahmen treffen, um das Leben, die Gesundheit und die persönliche Integrität ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schützen. Das gilt aber nur, «soweit es mit Rücksicht auf das einzelne Arbeitsverhältnis und die Natur der Arbeitsleistung ihm [dem Arbeitgeber] billigerweise zugemutet werden kann.» Der Schutz muss auch «den Verhältnissen des Betriebes oder Haushaltes angemessen» sein.

Das heisst übersetzt: Schwangere werden genauso gut oder schlecht geschützt wie alle anderen Angestellten. Und wenn dem Arbeitgeber die Schutzmassnahmen zu teuer erscheinen, kann er sie weglassen.

In diesem Zusammenhang sind die Tausenden von KMUs ein Risiko. Während grosse Unternehmen über genügend Personal und Wissen verfügen, um Schutzkonzepte auszuarbeiten, und auch über genügend finanzielle Möglichkeiten, um diese umzusetzen, werden viele kleine Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber damit hoffnungslos überfordert sein. Andere werden glauben, dass sie mit dem Bereitstellen von Desinfektionsmitteln ihrer Pflicht bereits nachgekommen sind. Und verlangen von ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, wieder im Büro zu erscheinen.

Systemversagen beim BAG

Der Schutz der Risikogruppen wurde aufgehoben, als die Fallzahlen zwischen 20 und 30 Neuansteckungen pro Tag lagen. Heute sind diese Zahlen fast 10x höher, mit dem bisherigen Höchstwert von 220 Neuansteckungen am 30. Juli. Trotzdem verzichtet das BAG weiterhin darauf, die Risikogruppen wieder zu schützen.

«Die aktuellen Massnahmen scheinen im Moment ausreichend zu sein, um das Virus unter Kontrolle zu halten», antwortet mir die Abteilung Kommunikation und Kampagnen des BAG.

Dabei belegen die falschen Zahlen der Ansteckungsorte und die Falschinformationen zu Schutzmasken, dass das BAG mit der aktuellen Situation überfordert ist. Kein Wunder also, dass ein Grossteil der Bevölkerung schon lange damit aufgehört hat, sich an die Schutzmassnahmen zu halten. Das Bundesamt für Gesundheit hat die eigene Glaubwürdigkeit erfolgreich untergraben.

Dabei sagen die Zahlen der Ansteckungsorte eigentlich alles: Die meisten der klar zuordbaren Ansteckungen erfolgen am Arbeitsplatz. Deshalb müssen diese Ansteckungen bestmöglich verhindert werden, damit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Coronavirus danach nicht im Familienkreis weitergeben.

Der dringend nötige Schutz bleibt aus

Mit der Rückkehr vieler Schweizerinnen und Schweizer aus den Sommerferien werden die positiven Fälle noch mehr ansteigen. Doch während viele Nachbarländer die Maskenpflicht in Innenräumen eingeführt oder sogar ausgedehnt haben, warten die Schweizer Behörden weiter ab. Das BAG hat den Kantonen zwar empfohlen, eine Maskenpflicht einzuführen, aber diese Empfehlung wird von den meisten Kantonen ignoriert.

Alle sagen immer wieder, dass wir uns einen zweiten Shutdown oder sogar einen Lockdown nicht leisten können. Umso weniger verstehe ich, dass wir mit offenen Augen geradewegs auf die zweite Welle zusteuern. Gegen die erste Welle konnten wir nicht viel tun, an der zweiten sind wir aber selbst schuld.

Die aktuelle Situation ist für die Risikogruppen schlimm. Da ein Grossteil der Bevölkerung sein früheres Leben wieder aufgenommen hat, nicht mehr aufpasst und damit potenziell ansteckend ist, bleibt den Risikogruppen nichts anderes übrig, als sich immer mehr in ihrem Zuhause zurückzuziehen. Und darauf zu hoffen, dass sich ihre Ehepartner, Kinder, Betreuungspersonen und sonstigen Menschen, mit denen sie zwangsläufig Kontakt haben, nicht infizieren.

Bald doch wieder geschützt?

Traurig (aber nicht überraschend) ist auch, dass sich Arbeitgeber und Journalisten erst jetzt für die Risikogruppe zu interessieren beginnen. Das könnte man zumindest meinen, wenn man die Berichte und Kommentare im Internet liest. Als dazu nur «Alte und Kranke» gehörten, war ihnen das noch ziemlich egal. Aber wir müssen das positiv sehen: Vielleicht werden dank den Schwangeren die besonders gefährdeten Personen doch bald wieder rechtlich geschützt. Denn auf den übrigen Teil der Risikogruppe hat bisher leider niemand gehört.

Meiner Meinung nach soll das BAG die Home-Office-Empfehlung wieder aussprechen, mindestens für die Risikogruppen und ihre Angehörigen und Betreuungspersonen, besser aber gleich für die gesamte Bevölkerung, und eine Maskenpflicht in öffentlich zugänglichen Innenräumen einführen. Vor allem muss es aber endlich einsehen, dass ein Vertrauen auf die Eigenverantwortung nichts bringt. Nützen tun nur klare Vorschriften und Verbote.

1 Kommentar zu “Schwangere gehören neu auch zur Risikogruppe, aber…”

  1. Hallo Thomas,
    vielen Dank für deinen informativen Beitrag!
    Liebe Grüße,
    Christoph

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