Im Rollstuhl NICHT auf den «Crash Landing on You» Steg in Iseltwald

«Mehr als 50’000 Serienfans besuchten 2024 den Bootssteg», verriet die Gemeindeschreiberin von Iseltwald kürzlich einer Zeitung. Wir wissen: Darunter waren 0 Menschen im Rollstuhl. Denn die Gemeinde hat ein Drehkreuz installiert, das Rollstuhlfahrende ausschliesst. Und sieht sich trotz unserer Reklamation im Recht.

Als Fans der südkoreanischen Fernsehserie «Crash Landing on You» wollten wir letztes Jahr den ikonischen Steg in Iseltwald besuchen, auf dem eine Schlüsselszene spielt. Dabei mussten wir feststellen: Die Einheimischen mögen keine Touristen. Und noch weniger scheinen sie Menschen mit Behinderungen zu mögen.

Der Ortseingang von Iseltwald befindet sich weit oben über dem Brienzersee. Hier treffen wir auf eine Absperrung. Dem Wortlaut nach ist lediglich die Zufahrt zu Hotels, Restaurants und Privaten gestattet. Alle anderen sollen hier auf dem grossen Parkplatz parkieren. Einen Behindertenparkplatz suchen wir aber vergeblich. Der würde auch nicht viel bringen. Denn die stark abschüssige Strasse, die von hier aus zum Dorfkern führt, lässt sich unmöglich mit dem Rollstuhl bewältigen.

Wir fahren also neben der Absperrung vorbei hinunter in Richtung Iseltwald – ein Fahrverbot ist ja nicht markiert. Dieses wäre wohl rechtlich nicht machbar gewesen. Die Absperrung soll aber den Anschein machen; sie ist quasi ein Möchtegern-Fahrverbot. Trotzdem wäre es hilfreich und eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass hier auch eine Ausnahme für Menschen mit Behinderungen im Sinne eines Rollstuhlsymbols aufgeführt wäre. Leider haben die Verantwortlichen das vergessen oder eher bewusst darauf verzichtet.

Auf dem Dorfplatz finden wir dann einen Behindertenparkplatz und spazieren von hier aus in Richtung Ufer. Hier ist unsere Enttäuschung gross. Mit dem Rollstuhl ist es unmöglich, auf den Steg zu gelangen, um Fotos zu machen. Denn das Drehkreuz, mit dem die Gemeinde jeden Fan um 5 Franken pro Person erleichtert, verunmöglicht den Zugang im Rollstuhl. Schade. So bleibt uns nichts anderes übrig, als auf dieses Erinnerungsfoto zu verzichten und aus einer anderen Richtung ein Selfie zu schiessen.

Die vergessene Berücksichtigung von Menschen mit Behinderungen stellt meiner Meinung nach nicht nur einen Verstoss gegen das Grundrecht der Rechtsgleichheit in Artikel 8 der Bundesverfassung dar, sondern verletzt auch ganz konkret Artikel 22 des Baugesetzes des Kantons Bern. Dieser besagt, dass öffentlich zugängliche Bauten und Anlagen für Menschen mit Behinderungen zugänglich und benutzbar sein müssen. Weil das Drehkreuz nach dem Inkrafttreten dieser Regelung installiert wurde, wäre die Sache eigentlich klar: Es muss die gesetzlichen Vorgaben erfüllen.

Die Gemeindebehörden von Iseltwald sehen das anders. Die Gemeindeschreiberin hat unsere Reklamation Ende August 2024 an einer Sitzung des Gemeinderats besprochen und richtet die folgende Antwort aus: «Da der Steg an sich für Rollstuhlfahrer nicht geeignet ist (Absätze und Lücken zwischen den Holzlatten), wird auf eine Anpassung des Drehkreuzes bzw. des Zugangs verzichtet.»

Diese Ausrede lassen wir nicht gelten. Klar, der Steg ist tatsächlich nicht durchgehend rollstuhlgängig mit seinem Absatz in der Hälfte des Wegs. Die Lücken zwischen den Holzlatten verlaufen jedoch – ausser im hintersten Teil – quer zum Steg. Hier mit einem Rollstuhlrad stecken zu bleiben, ist also gar nicht möglich. Wir hätten den Steg rückwärts angefahren und den Absatz problemlos überwunden. In der Schweiz ist das ja überall mal nötig. Nach dem Foto auf dem Steg hätten wir dann keine Drehung machen müssen, sondern wären vorwärts wieder weggerollt. Andere Menschen im Rollstuhl hätten das sicher auch so gemacht. Rollstuhlfahrende, die von Südkorea in die Schweiz reisen, sind ganz bestimmt sehr versiert darin, sich nicht von solch kleinen Hindernissen aufhalten zu lassen. Gestoppt werden sie nur von übereifrigen Schweizer Behörden.

Rein technisch wäre der Zugang im Rollstuhl natürlich möglich. Die Herstellerfirma Wedatronic ist sich der Problematik ihrer Personensperren bewusst und bietet deshalb auch motorisierte Schwenktüren an, die «einen breiteren Durchgang für Personen in Rollstühlen, Kinderwagen» und mehr bieten. Anstelle oder zusätzlich zum Drehkreuz hätte problemlos eine solche Schwenktüre installiert werden können. Aber die Gemeindebehörden haben wohl befürchtet, dass dann nicht mehr jede einzelne Person für den Zutritt zum Steg bezahlen muss, wenn zwei oder sogar noch mehr Fans gleichzeitig durch die offene Schwenktüre schlüpfen könnten. Bei jährlichen Einnahmen von CHF 250’000 wäre das aber wohl nicht so schlimm gewesen, und hätte die Installation sicher trotzdem bezahlt. Den Einnahmen stehen ja keine anderen Ausgaben gegenüber, die sie decken müssen.

Ich bitte den Regierungsstatthalter von Interlaken um Hilfe. Als «Aussenstelle» der Kantonsregierung sorgt er für die Einhaltung der (Bau-) Gesetze in seinem Kantonsteil. Scheinbar aber nicht in Interlaken. Der Regierungsstatthalter erläutert mit vielen spitzfindigen Details und Verweisen auf verschiedene Gesetze, aus welchem Grund ihm meine Kontaktaufnahme nicht ausreicht, um tätig zu werden. Ich müsste bei der Gemeinde eine förmlich eröffnete baupolizeiliche Beurteilung verlangen oder eine förmliche Baupolizeianzeige per Briefpost einreichen. Vielleicht sei ich aber gar nicht beschwerdeberechtigt. Dann könnte allenfalls eine beschwerdeberechtigte Organisation eine Beschwerde bei der Bau- und Verkehrsdirektion erheben. Ansonsten werde er nicht tätig.

Da die Gemeinde bei beidem sicher eine hohe Rechnung mitschicken würde, verzichte ich dann aber doch darauf. Und fasse zusammen: Würde der Regierungsstatthalter genauso akribisch gegenüber der Gemeinde Iseltwald argumentieren, wieso das Drehkreuz gegen das Baurecht verstösst, wäre der Durchgang für Menschen im Rollstuhl schon lange eine Tatsache. Oder mit anderen Worten: Solange niemand die formell-juristischen Schritte einleitet, wird die Missachtung des Baurechts und die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen durch eine Behörde toleriert.

Eigentlich müsste er – zumindest soweit ich das Baugesetz des Kantons Bern verstehe – von Amtes wegen tätig werden, wenn eine Gemeinde gegen das Baurecht verstösst. Zumindest lese ich in Artikel 48 Baugesetz: «Vernachlässigt eine Gemeindebehörde ihre baupolizeilichen Pflichten und sind dadurch öffentliche Interessen gefährdet, so hat an ihrer Stelle der Regierungsstatthalter die erforderlichen Massnahmen zu verfügen.» Möglicherweise kommt dieser Artikel aber nicht zur Anwendung, weil die Gemeinde selbst gebaut hat und damit nicht gleichzeitig als Baupolizeibehörde infrage kommt.

Die Schweiz ist ein behindertenfeindliches Land, und diese Behindertenfeindlichkeit ist tief verwurzelt. Mein Leserkommentar zum Artikel in der Zeitung «Der Bund», in dem ich die fehlende Zugänglichkeit für Menschen im Rollstuhl moniere, erhält nur 4 Daumen hoch, aber 39 Daumen runter. Miguel Ruchti antwortet mir: «Ich bin absolut für Barrierefreiheit, aber bitte mit gesundem Menschenverstand. Was bleibt hier verwehrt? Dieselbe Aussicht, welche man 10m entfernt auch hat?» Dafür erhält er 30 Daumen hoch und 2 Daumen runter, auch wenn er scheinbar nicht versteht, worum es geht, und ihm 50’000 Fans widersprechen. Ja natürlich, auch neben dem Steg sieht der Blick über den See in Richtung Interlaken nicht viel anders aus. Denn so vielen Leuten war der Zugang zum Steg 5 Franken wert, weil es eben nicht dasselbe ist, nur neben dem Steg zu stehen. Für Menschen im Rollstuhl bleibt das Foto neben statt auf dem Steg weiterhin die einzige Möglichkeit.

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