Im Rollstuhl ein Kino-Ticket reservieren: Wieso ist das so kompliziert?

Eigentlich gehen wir gerne ins Kino. Wir mögen die Atmosphäre, die bequemen Sitze, die grosse Leinwand und das Popcorn. Schade nur, dass es trotz hilfsbereiten Kino-Mitarbeitern immer noch viel zu kompliziert ist, als Rollstuhlfahrer Kinotickets zu reservieren bzw. kaufen. Das System gehört dringend überarbeitet.

Pathé Basel

Das Buchungssystem auf der Pathé-Webseite macht auf den ersten Blick einen guten Eindruck. Man kann die gewünschte Anzahl Tickets pro Kategorie (Erwachsene, Kinder, Erwachsene im Rollstuhl, Kinder im Rollstuhl) auswählen und gelangt dann auf den Sitzplan des Kinos, um die Sitzplätze auszuwählen. Leider ist hier Schluss. Denn beim Versuch, Plätze für unsere Gruppe auszuwählen, erhalte ich immer die Fehlermeldung „There is no order available“ („keine Bestellung verfügbar“).

Pathé Basel Fehlermeldung beim Buchen eines Rollstuhlplatzes

Ich suche auf der Pathé-Webseite also eine Kontaktmöglichkeit und finde eine E-Mail-Adresse. Der (so nehme ich mangels Namen in der Antwort an) Geschäftsführer antwortet rasch und hilfsbereit auf mein E-Mail und reserviert uns die Tickets, obwohl Pathé seit einiger Zeit keine Reservationen mehr zulässt, und schon gar nicht per E-Mail, nur noch das direkte Kaufen der Tickets.

Wir treffen ungefähr eineinhalb Stunden vor Filmbeginn im Kino ein, um die Tickets abzuholen. Die Damen am Schalter wundert sich um informiert mich, dass Reservationen nicht mehr möglich seien. Erst auf mein Beharren hin, dass ich das so per E-Mail vereinbart habe, geht sie Hinterzimmer nachschauen. Schlussendlich erscheint der Geschäftsführer, mit dem ich schon per E-Mail Kontakt hatte, und druckt die Tickets aus. Wir sollen uns nicht wundern; auf den Billeten stehe die Sitzreihe HINTER unserer. Er habe das System austricksen müssen, um unsere Plätze zu reservieren. Ich nehme an, er hat fünf Sitzplätze blockiert und kann sie jetzt nicht mehr entblockieren. Das geht wohl auch nur, weil der Kinosaal zu drei Vierteln leer ist und die Sitzreihe hinter uns noch frei ist. Das ist wie gesagt sehr hilfsbereit und zuvorkommend vom Geschäftsführer, zeigt aber, dass es noch viel Verbesserungsbedarf beim Buchungssystem und den Abläufen gibt, bis Rollstuhlfahrer genauso einfach ein Kinoticket kaufen können wie alle anderen Kinogänger.

Skeptisch macht mich ausserdem der hohe Preis: Ich bin sicher, dass ich auf der Kino-Webseite einen tieferen Preis hätte zahlen müssen als hier am Schalter. Ich frage nach und der Geschäftsführer begründet den höheren Preis mit dem Aufpreis für die 3D-Vorstellung. Wieder zu Hause prüfe ich dies nochmals nach: Die Webseite offerierte beim Buchen von Kinder-Tickets automatisch ein Family Package, bei dem wir 26 Franken gespart hätten. Am Schalter mussten wir fünf Einzeltickets zahlen. Das stört mich sehr, da es ja gar nicht möglich war, den Rollstuhlplatz übers Internet zu buchen.

Update: Das war tatsächlich ein Fehler an der Kino-Kasse. Uns hätte der Familienpreis berechnet werden müssen. Wir haben von Pathé einen Kinogutschein als Entschädigung erhalten. Danke.

Pathé Basel Buchungsvorgang

Auf der Pathé-Webseite beschränkt sich die Information für Rollstuhlfahrer auf: „Rollstuhlgängig: Ja“. Das reicht natürlich bei weitem nicht. Da wir schon mehrmals in diesem Kino waren, wissen wir, dass es eine rollstuhlgängige Toilette gibt. Andere können das aber nicht wissen. Deshalb gehört diese Information unbedingt auf die Webseite. Hier könnte sich Pathé ein Vorbild an der KITAG-Webseite nehmen.

KITAG Basel

Bei KITAG ist es nicht möglich, Rollstuhlplätze über das Buchungssystem auf der KITAG-Webseite zu buchen. Bewegt man den Mauszeiger auf einen Rollstuhlplatz, erscheint die Meldung, dass die Reservation von Rollstuhlplätzen und Auskünfte dazu täglich von 13 bis 20 Uhr telefonisch möglich sind.

KITAG-Webseite

In einem früheren Blogbeitrag habe ich das KITAG-System gelobt, auch wegen der normalen Telefonnummer anstelle der teuren Reservations-Hotline für 1.50 Franken pro Minute. Seit unserem Kinobesuch im Dezember 2016 habe ich meine Meinung aber geändert. Der damalige Kinobesuch hat gezeigt, dass grosse Probleme bestehen.

Wir wollten „Rogue One“ am Eröffnungswochenende schauen gehen – ein Film mit grossem Andrang, bei dem wir davon ausgehen mussten, dass die besten Plätze sehr schnell verkauft werden. Im grossen Saal 1 im KITAG-Kino Rex befinden sich diese besten Plätze in derselben Reihe (9) wie die Rollstuhlplätze, in der man enorm viel Beinfreiheit hat. Rollstuhlfahrer müssen also zu den ganz Schnellen gehören, wenn sie einen Film zusammen mit Freunden schauen und alle nebeneinander sitzen möchten (was ja beides nicht zu viel verlangt ist). Sonst sind zwar nicht die Rollstuhlplätze, aber alle Plätze daneben plötzlich weg.

KITAG Basel: Rex 1

Auf der KITAG-Webseite kann man sich registrieren, um bei demnächst ins Kino kommenden Filmen eine Stunde vor Verkaufsstart Tickets kaufen zu können (Knopf „Interessiert mich“).

KITAG Film interessiert mich

Das hatte ich für „Rogue One“ so gemacht und konnte eine Stunde vor Verkaufsstart auf das Buchungssystem zugreifen. Natürlich konnte ich weiterhin keine Rollstuhlplätze darüber buchen und habe deshalb auf die Telefonnummer für Rollstuhlplätze angerufen. Das hat gleich zwei Probleme zum Vorschein gebracht:

  • Die freundliche und hilfsbereite Dame am Telefon konnte noch gar nicht auf das Buchungssystem zugreifen! Denn im Gegensatz zu vorregistrierten Besuchern der Webseite hat sie ERST beim normalen Verkaufsstart Zugriff und kann erst ab dann Tickets vergeben. Ein kompletter Blödsinn.
  • Über die Rollstuhlplatz-Telefonnummer können Billete nicht gekauft, sondern nur reserviert werden. Eine Reservation ist aber so lange im Voraus nicht möglich. Das System lässt dies (selbst für die KITAG-Mitarbeiter) gar nicht zu. Das heisst also, dass ein Rollstuhlfahrer extra an einen KITAG-Kinoschalter fahren muss, um trotzdem zu seinem garantierten Sitzplatz zu kommen. Der Rollstuhlfahrer mit Gehbehinderung muss also einen zusätzlichen Weg auf sich nehmen, während alle Kinogänger ohne Gehbehinderung bequem von zu Hause aus ihr Kinoticket kaufen können. Das ist genau das GEGENTEIL einer guten Lösung und eine absolut unzumutbare Situation.

Immerhin sind auf der KITAG-Webseite gute Informationen zur Rollstuhlgängigkeit der Kinos vorhanden. Diese sind ganz einfach auf der separaten Seite „Besucher mit Handicap“ für alle KITAG-Kinos in allen Städten zu finden. Die Informationen umfassen Bemerkungen zu den Rollstuhlplätzen und zu Behinderten-WCs.

KITAG Informationen für Besucher mit Handicap

Fazit und (keine) Lösung

Bei den beiden grossen Kino-Ketten Pathé und KITAG müssen Rollstuhlfahrer grosse Hürden überwinden und einen viel grösseren Aufwand auf sich nehmen als Besucher ohne Gehbehinderung, wenn sie ein Kinoticket kaufen möchten. Bei beiden Ketten gibt es einen grossen Verbesserungsbedarf und es scheint, dass sich beide nicht genügend Gedanken gemacht und Abläufe definiert haben, um Rollstuhlfahrern einen einfachen Kinobesuch zu ermöglichen.

Für Rollstuhlfahrer, die im Kino vom Rollstuhl in den bequemen Kinositz transferieren möchten, gibt es im Moment eigentlich eine Lösung: Sie kaufen NICHT ein Ticket für den Rollstuhlplatz, sondern für den Platz daneben. Das klappt aber auch nur, wenn man das Kino kennt und genau weiss, ob der Rollstuhlplatz (wie häufig bei Pathé-Kinos) aus einer leeren Fläche für den Rollstuhl besteht oder (wie häufig bei KITAG-Kinos) ein richtiger Kino-Sitz ist. Schlussendlich haben wir das so gemacht, um „Rogue One“ zu sehen, weil keine andere Lösung gefunden werden konnte. Das entspricht aber natürlich BEI WEITEM nicht dem Sinn einer Lösung für Rollstuhlfahrer.

Update (danke für den Input, Andrea): Auf der Pathé-Webseite klappt das Kaufen, wenn man NUR den Rollstuhlplatz kauft und keine zusätzlichen Tickets. Dann gibt’s keine Fehlermeldung. Die zusätzlichen Plätze für die Freunde können dann separat gekauft werden. Oder sinnvollerweise wohl zuerst die zusätzlichen Plätze und dann den Rollstuhlplatz.

Leider gilt auch für die meisten kleineren Kinoketten und unabhängigen Kinos, dass Informationen zur Rollstuhlgängigkeit auf den Webseiten fehlen. Selbst wenn ein Kino KEINE Behindertentoilette hat, soll das aufgeführt werden. So können Rollstuhlfahrer selbst entscheiden, ob sie in diesem Fall ein Ticket kaufen wollen oder nicht.

Forderung

  1. In einem ersten Schritt müssten sämtliche Kinos Informationen zur Rollstuhlgängigkeit auf ihren Webseiten veröffentlichen. Das ist einfach und schnell gemacht. Irgendwo sind diese Informationen ja (hoffentlich!) vorhanden.
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  2. In einem zweiten Schritt muss der Buchungsprozess für Rollstuhlfahrer vereinfacht werden. Für Rollstuhlfahrer darf es nicht aufwendiger sein als für Leute ohne Gehbehinderung, ein Kinoticket kaufen zu können. Dies käme (und kommt zurzeit) einer Diskriminierung von Menschen mit einer Behinderung gleich.
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    Es braucht eine einfachere Lösung, um Nichtberechtigte davon abzuhalten, einen Rollstuhlplatz zu buchen. Obwohl auch beim jetzigen System ein Missbrauch möglich ist (ausser in Pathé-Kinos – hier wird wohl kaum jemand einen Klappstuhl für den leeren Rollstuhlplatz mitbringen, um 3 Franken gegenüber dem normalen Ticketpreis zu sparen.
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    Eine Lösung könnte aus einem einfachen Kästchen bestehen, das ein Besucher anklicken muss, um zu bestätigen, dass er oder sie im Rollstuhl sitzt und auf den Platz angewiesen ist. Oder in einer einmaligen, in sämtlichen Kinos der Schweiz gültigen Registrierung als Rollstuhlfahrer mit einem persönlichen Zahlencode, den man dann beim Buchen im Internet eingeben kann, um sich als berechtigte Person zu identifizieren. Nach Wunsch des Benutzers könnten gleich die persönlichen Präferenzen und Anforderungen hinterlegt werden, zum Beispiel ob man lieber im Rollstuhl bleibt oder lieber auf den Kinositz transferiert, vielleicht sogar die Masse des Rollstuhls, damit das Buchungssystem bei zu schmalen Durchgängen zum Kino oder zum Rollstuhl-WC eine automatische Warnung ausgibt.
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  3. Ausserdem sollten nicht nur die Rollstuhlplätze, sondern auch eine gewisse Anzahl der angrenzenden Plätze für Rollstuhlfahrer reserviert sein und nur von ihnen gebucht werden dürfen. Rollstuhlfahrer gehen genauso wenig wie andere Leute alleine ins Kino.
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  4. Am besten wäre natürlich, wenn nicht nur ganz wenige, sondern viele Plätze im Kino für Rollstuhlfahrer geeignet wären. Beispielsweise, indem nicht nur eine einzige Sitzreihe im Rollstuhl erreichbar ist, sondern über Rampen statt über Stufen zwei, drei, vier oder noch mehr Reihen. So hätte man als Rollstuhlfahrer nicht nur mehr Auswahlmöglichkeit (zum Beispiel nicht nur die fünfvorderste Reihe gestern), sondern kann trotzdem auch dann einen Film schauen gehen, obwohl bereits ein anderer Rollstuhlfahrer ein Billet gekauft hat.

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