Neues ÖV-Angebot von PostAuto schliesst Menschen im Rollstuhl aus
Die PostAuto AG lanciert mit dem Projekt «AmiGo» ein neues «zukunftsweisendes Angebot für den ÖV». Eingesetzt werden automatisierte Fahrzeuge, die im Rollstuhl nicht benutzt werden können. Das Bundesamt für Verkehr sieht dabei kein Problem.

Im Oktober hat die PostAuto AG in einer Medienmitteilung ein neues ÖV-Angebot angekündigt. Bereits ab Dezember werden in der Ostschweiz Testfahren durchgeführt. Automatisierte Fahrzeuge, die ohne Fahrerin oder Fahrer im Strassenverkehr unterwegs sind, können nach Bedarf gerufen werden. Sie holen die Fahrgäste zu Hause oder an einem anderen Ort ab und bringen sie zur gewünschten Destination. Der reguläre, dauerhafte Einsatz soll schon 2027 starten.
PostAuto preist diese Robo-Busse an als eine gute Ergänzung dort, wo Gebiete im Linienverkehr nicht optimal erschlossen sind oder zu Randzeiten keine Busse fahren. Und eigentlich tönt es wirklich toll. Denn so entfällt der Fussweg zur nächsten Bushaltestelle, mühsames Umsteigen und das Warten auf andere Linien, und der zweite Fussweg von der Bushhaltestelle zum eigentlich Ziel. Ideal also für Menschen im Rollstuhl. Nur: Genau sie können davon nicht profitieren. Das neue Angebot mit Fahrzeugen von Apollo Go aus China – das ist mit Blick auf das Foto sofort klar und wird von der Medienstelle PostAuto bestätigt – ist nicht hindernisfrei. Menschen im Rollstuhl können nicht mitfahren.
Gewollte Grenzen der Behindertengleichstellung
Ja aber: Müssen neue ÖV-Angebote nicht zwingend rollstuhlgerecht sein? So schreibt es das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) ja eigentlich vor. «Das Angebot wird regulär privatwirtschaftlich betrieben und gilt gemäss den Richtlinien des BAV als nicht konzessions- und bewilligungspflichtig. Deshalb gelten nicht die gleichen BehiG-Anforderungen wie im öV», antwortet die Medienstelle PostAuto auf diese Frage.
Stimmt das wirklich? Wird «AmiGo» vom BehiG tatsächlich nicht erfasst? Welche konkrete Richtlinie meint die Medienstelle? Das alles möchte ich vom Bundesamt für Verkehr wissen. Dessen Mediensprecher bestätigt die Aussage. Das BehiG gelte nur für den konzessionierten Verkehr. Da dieses ÖV-Angebot keine Konzession brauche, müsse es auch nicht hindernisfrei nutzbar sein. Für die Zulassung von ÖV-Angeboten, die keine Konzession benötigen, seien die Kantone zuständig. Deshalb sei das Bundesamt für Verkehr gar nicht zuständig.
Föderalismus also. Auf eine Nachfrage bei den beteiligten Kantonen St. Gallen, Thurgau und den beiden Appenzell verzichte ich. Genauso wie auf Bundesebene wird wohl auch dort mehr Energie in juristische Spitzfindigkeiten gesteckt, um Schlupflöcher und Ausreden zu finden, als dafür verwendet, ein hindernisfreies ÖV-Angebot zu schaffen.
Es bestätigt einmal mehr, dass das Behindertengleichstellungsgesetz zwar seine Anwendungsbereiche hat, aber zum grossen Teil nur ein Alibi-Gesetz ist – so kreiert, um Ausnahmen wie diese zu ermöglichen. Ja klar, denn sonst wäre die ganze Schweiz schon lange rollstuhlgängig.
Eine Verletzung des Diskriminierungsverbots?
Besteht allenfalls aus Artikel 8 Bundesverfassung eine Verpflichtung, das neue Angebot hindernisfrei zu gestalten? Darin ist geregelt, dass niemand diskriminiert werden darf, auch nicht wegen einer körperlichen Behinderung. Und die Bundesverfassung richtet sich ja gerade an die Behörden. Die PostAuto AG gehört der Schweizerischen Post, und diese wiederum zu 100% dem Bund. Ausserdem ist der öffentliche Verkehr eine Aufgabe von Bund und Kantonen. Somit müsste Artikel 8 BV hier anwendbar sein.
Auch darauf habe ich das Bundesamt für Verkehr angesprochen. Doch gerade auf diesen Punkt ist der Mediensprecher nicht eingegangen. Ist es ihm vielleicht nicht gelungen, auch dazu eine spitzfindige Ausrede zu finden?
Rollstuhlgerechter Matte-Schnägg
Anbieter mit rollstuhlgerechten autonomen Fahrzeugen sollten ja schon irgendwo auf der Welt auffindbar sein. Zumindest hat Bernmobil in der Stadt Bern von 2019 bis 2021 den «Matte-Schnägg» eingesetzt, um Erfahrungen mit autonomen Fahrzeugen zu machen. Auch dieser Kleinbus konnte über eine App bestellt werden, um an den gewünschten Ort zu fahren. Er hatte eine elektrische Rollstuhlrampe, Befestigungsmöglichkeiten für den Rollstuhl sowie einen Bildschirm mit kontrastreicher Darstellung für Menschen mit Sehbehinderungen. Denn für Bernmobil war klar: Sie suchen nicht nach Ausreden, sondern schaffen ein Angebot für alle – auch für Menschen mit Behinderungen.
