Im Rollstuhl ans Taylor Swift Konzert im Letzigrund-Stadion
Sie ist zurzeit der grösste Superstar der Welt. Auf ihrer Eras-Tour hat Taylor Swift zwei Konzerte in Zürich gespielt. Bei unserem Besuch im Rollstuhl am zweiten Abend hat vieles gut funktioniert, einiges aber auch nicht. Ganz schlecht überlegt ist die Sitzreihe vor den Rollstuhlplätzen, wenn dort alle stehen. Hier ist unser Erfahrungsbericht.
Das war eine Wahnsinns-Show! Es war wirklich drei Stunden lang nie langweilig, auch wenn man nicht bei jedem Lied mitsingen kann. Was für eine beeindruckende Leistung von Taylor Swift, den Tänzerinnen und Tänzern und der Band. Einfach unglaublich! Taylor Swift ist zu Recht die aktuell grösste Musikerin.
Aber von Anfang an. Es ist schon eine Weile her, dass wir die Tickets gekauft haben: CHF 163 pro Person für zweimal «Stehplatz, Rollstuhl & Begleiter». Das Hotel in der Nähe war deutlich teurer. Aber so hatten wir keinen Stress wegen der Heimfahrt nach dem Konzert und einen Parkplatz auf sicher. Dass für Besuchende mit Behinderung beim Stadion Parkplätze angeboten werden, wurde erst kurz vor dem Konzert kommuniziert.
Wir fahren nach dem Mittagessen in Bern los und kommen kurz nach 15 Uhr beim Hotel an. Das befindet sich gleich ausserhalb des abgesperrten Perimeters. Wir parkieren in der Einstellhalle und beziehen unser Zimmer. Damit sind wir soweit zufrieden. Es gibt sehr viel Stauraum, den wir für die eine Nacht nicht brauchen, und ein grosses Badezimmer.
Dann machen wir uns bereit. Zwei kleine Täschli (maximal erlaubt: A4-Grösse) mit je einem Notfall-Regenponcho, Fächer, Sonnencrème (nur Tube erlaubt, nicht zum Sprühen), leere PET-Flasche ohne Deckel (nur so erlaubt), kühlendes Tuch, Covid-Maske und Medikamente, und natürlich unsere Swifties-Armbändeli. Die hatten meine Nichte und Schwester für uns gebastelt. Sie waren am ersten Tag am Konzert.
Wir sind gut zehn Minuten unterwegs, bis wir beim Letzigrund-Stadion eintreffen. Unser Eingang C befindet sich gleich auf der gegenüberliegenden Seite. Alles scheint sehr gut organisiert zu sein. Für die Taschen- und Ticketkontrolle müssen wir kaum anstehen. Davor befinden sich Schliessfächer und eine unbeaufsichtigte Garderobe, bei der Rucksäcke und verbotene Gegenstände deponiert werden können.
Vor dem Stadion zeigen sich Spuren der Verwüstung: Das muss heute Morgen der Anstehbereich für die Stehplätze gewesen sein. Als es plötzlich losging, wurden Abfall, halbleere Getränkeflaschen und Pommes-Chips-Packungen und ganz viele Wärmedecken einfach liegengelassen und seither von niemandem weggeräumt. Im Rollstuhl ist das ein kleiner Hindernisparcour.
Dann gelangen wir ins Stadion und suchen nach unseren Plätzen. Doch als wir die Platzanweiserin bei unserem Block 21 ansprechen und ihr unsere Tickets zeigen, werden wir einen Block weiter geschickt. Komisch, aber sie wird es wohl wissen. Beim Block 22 werden wir unter dem Absperrband hindurchgelassen und staunen: Hier ist alles frei. Wir fragen nach einem Stuhl für die Begleitperson und richten uns ein.
Ein paar Minuten später kommt ein anderer Platzanweiser und sagt mit einem unhöflichen Ton, dass wir nicht hier sein dürfen. Das sei der Notausgangsbereich. Wir erklären ihm, dass seine Kollegin uns hier platziert hat, und folgen ihm schulterzuckend zu unserem eigentlichen Block, bei dem wir uns ursprünglich gemeldet hatten.
Auf dem Boden sind Vierecke mit Rollstuhlsymbol aufgemalt, die Platz für eine Person im Rollstuhl und eine Begleitperson bieten. Hier können wir uns ein Viereck aussuchen, sagt der Platzanweiser.
Nun schauen wir uns ein bisschen um. Fast direkt bei unserem Block befindet sich der Sanitätsposten und zwei Behindertentoiletten, die nur mit einem Eurokey geöffnet werden können. Der Toilettenraum ist ausreichend gross, hat aber ein Problem: Die heruntergeklappte Armlehne neben der Toilette lässt sich zwar hochklappen, aber nicht oben festmachen. Sie klappt ständig wieder nach unten und lässt neben dem Lavabo nur einen schmalen Spalt frei. Das reicht nicht zum Transferieren. Zum Glück läuft seit ein paar Wochen wieder MacGyver im Fernsehen! Wir drehen den Handgriff des Rollstuhls um 90° zur Seite und platzieren den Rollstuhl so neben dem WC, dass der Rollstuhl-Handgriff die Armlehne oben hält. Damit klappt es. Aber so zu transferieren ist für uns ungewohnt und unpraktisch. Hallo Letzigrund-Verantwortliche: Hier muss unbedingt nachgebessert werden!
Dann machen wir uns auf die Suche nach dem kostenlosen Wasser, von dem überall die Rede war und für das man die leere PET-Flasche ohne Deckel mitnehmen durfte. Wir sehen zwar unten im Stehplatz-Bereich mehrere Leute mit grossem «Free Water»-Schild, doch im oberen Bereich gibt es niemanden. Da ich auch sonst nirgends Wasserhähne sehe, frage ich zwei Organisatoren mit Leuchtweste. Oh, nein, das gäbe es hier oben nicht, und auch die Begleitperson dürfe nicht nach unten zu den «Free Water»-Verteilern, weil wir nur Tickets für hier oben haben. Er gibt zu, das sei total blöd gelöst, auch wenn er das so eigentlich nicht sagen dürfe. Es bliebe uns nur übrig, auf der Toilette Wasser vom Lavabo abzufüllen. Zum Glück geht das bei der Behindertentoilette fast ohne Anstehen. Wir fragen uns trotzdem angesichts der langen Warteschlangen für die Toiletten, wie das andere Leute ohne Rollstuhl machen. Man hätte die «Free Water»-Leute wenigstens ein- oder zweimal eine Runde bei den Rollstuhlplätzen vorbei machen lassen können.
Während die Vorgruppe spielt, suche ich Nachtessen. Immerhin gibt es mehrere kleine Häuschen mit Burger, Pommes und Pizza. Während wir zwei Stücke Pizza essen, steht plötzlich wieder der unhöfliche Platzanweiser hinter uns. «Haben Sie überhaupt Tickets?», fragt er uns. Vermutlich mit zusammengekniffenen Augen und bösem Blick. Ihm hat wohl niemand gesagt, dass Menschen im Rollstuhl hinten keine Augen haben und man sie deshalb besser von vorne ansprechen soll. Und was für eine blöde Frage! Natürlich haben wir Tickets – die mussten wir ja schon mehrfach zeigen, bis wir hier waren. Wir zeigen sie ihm, und er geht wieder.
Der Grund für seine Frage war wohl die Nummer «unseres» Vierecks. Dass sie nicht mit der Nummer auf unserem Ticket übereinstimmt, hatte mich kurz gewundert, aber war mir dann egal. Vermutlich hat sich nun eine andere Person im Rollstuhl gemeldet, weil er oder sie die Nummer unseres Vierecks hatte. Wenn das wirklich eine Rolle spielt, hätte er selbst uns vorher nicht sagen sollen, wir können uns ein Viereck aussuchen. Kurz gesagt: Die Platzanweisenden waren schlecht instruiert.
Pünktlich um 19 Uhr beginnt Taylor Swift ihr Konzert. Auch wenn man hier vielmehr von einer Show sprechen muss: Die Taylor-Swift-Show. Drei Stunden lang gibt sie alles, und auch ihre knapp zwanzig Tänzerinnen und Tänzer und die Band. Sie singt die besten Lieder aus ihren verschiedenen Ären (auf English: eras, deshalb auch The Eras Tour). Es gibt zahlreiche Kostümwechsel, einige davon auch direkt auf der Bühne, hinter vorgehaltenen Federbüscheln und Schirmen, und viele Überraschungen: Plötzlich hebt sich ein Teil der Bühne – als Block, Treppe oder Hügel –, senkt sich zur Treppe nach unten, dann wachsen Bäume, erhebt sich ein Blockhaus und fährt ein verspiegeltes UFO mit Taylor Swift darauf herum. Nicht nur die riesige Wand auf der Bühne ist ein Bildschirm, sondern auch der Laufsteg ins Publikum. Ganz lustig, wie Taylor Swift vorne ins plötzlich offene Loch im Laufsteg springt, der jetzt wie ein grosses Schwimmbecken aussieht. Wir sehen sie unter dem Wasser zurück zur Bühne schwimmen, wo sie wenig später im neuen Kostüm wieder erscheint. Daneben gibt es Feuerbälle, Rauchsäulen, Konfettikanonen, und am Schluss noch ein kleines Feuerwerk über dem Stadion. Wirklich eine unglaubliche Show, die gar nicht anders kann als begeistern!
Getrübt wird die Freude am Konzert nur von unserem letzten und grössten Kritikpunkt: die Sicht. Denn die Rollstuhlplätze sind eigentlich nur die oberste Stufe einer grossen Treppe mit Sitzplätzen, mit wenig vertikalem Abstand zur Sitzreihe davor. Stehen die Leute dort auf, um zu tanzen und mitzusingen, ist es vorbei für die Zuschauerinnen und Zuschauer im Rollstuhl. Wir hatten Glück. Die paar Plätze vor uns blieben lange frei und danach blieben die Leute mehrheitlich sitzen, und zwei Reihen vor uns standen Kinder, über die wir hinwegschauen konnten. Andere Leute im Rollstuhl ein paar Vierecke neben uns hatten weniger Glück. Sie haben die Leute in der hintersten Sitzreihe mehrmals gebeten, sich hinzusetzen, weil sie sonst nichts sehen. Was leider nur mässig erfolgreich war. Blöd halt auch, dass denen fast nichts anderes übrig blieb, als aufzustehen, weil die Leute in der Reihe vor ihnen standen, und so weiter. Das hatten wir beim Shakira-Konzert im Hallenstadion viel besser erlebt, wo es vor den Rollstuhlplätzen nur Stehplätze gab, die sich aber viel weiter unten befanden. Letzigrund-Verantwortliche: Schafft nicht nur Plätze für Menschen im Rollstuhl, sondern sorgt auch dafür, dass sie etwas sehen können!
Kurz nach 22 Uhr ist die Show vorbei. Wir lassen uns von den Menschenströmen nach draussen treiben, wobei alle Leute gut auf den Rollstuhl Rücksicht nehmen. Zehn Minuten später treffen wir wieder im Hotel ein.