Ein Rollstuhl-WC im Speisewagen pro Zug reicht, so das Bundesgericht
Die SBB will in ihren Fernverkehrzügen keine zusätzlichen rollstuhlgängigen Toiletten einbauen: Eine pro Zug, nämlich in der unteren Etage des Speisewagens, reiche völlig aus. Die übrigen Wagen brauchen keine rollstuhlgängige Toilette, obwohl pro Wagen ein Rollstuhlplatz enthalten ist. So können maximal drei Rollstuhlfahrer pro Zug das WC benützen, neben 1’200 Normalpassagieren, von denen alle jedes WC des Zugs benützen können, das sie wollen.
Mit dieser Überzeugung haben die Schweizer Bundesbahnen nun den Segen vom Bundesgericht erhalten. Zuvor hatte das Bundesverwaltungsgericht, also das zweithöchste Gericht der Schweiz, bestimmt, dass auch wenigstens in einem weiteren Wagen eine rollstuhlgängige Toilette eingebaut werden muss. So seien Rollstuhlfahrer nicht gezwungen, im Speisewagen zu reisen. Ausserdem hätten so zusätzliche Rollstuhlfahrer den Zug wirklich für Fernreisen benützen können. Jetzt hat das Bundesgericht dieses Urteil aufgehoben und mit Urteil vom 22. Februar 2013 im Verfahren 2C_380/2012 anders entschieden.
„Aus der vom Bundesverwaltungsgericht angeordneten Lösung ergibt sich für Behinderte kein effektiver Mehrnutzen gegenüber dem ursprünglich vom Bundesamt genehmigten Pflichtenheft. Im Unterdeck des Speisewagens ist genügend Platz vorhanden. Das vom Bundesamt für Verkehr genehmigte Pflichtenheft führt nicht zu einer verfassungs- bzw. gesetzeswidrigen Benachteiligung Behinderter“, meint das Bundesgericht. Die ausführliche Urteilsbegründung steht noch aus.
Diese Haltung ist traurig und aus drei Gründen bedenklich:
- Wegen diesem Urteil können weniger Rollstuhlfahrer den Zug wirklich benützen. Wer ein paar Stunden im Fernreisezug unterwegs ist, spürt schon mal ab und zu ein Bedürfnis, aufs WC zu gehen. Noch unverständlicher ist die Sicht der Fluggesellschaften, man soll sich’s fünf Stunden lang problemlos verklemmen können. Da Personen mit Gehbehinderung – wie auch die restliche Bevölkerung – immer mobiler werden, ist diese Platzbeschränkung (¼ Prozent aller Zugpassagiere!) traurig.
- So werden Rollstuhlfahrer bewusst Hass und Wut ausgesetzt. In den Augen der übrigen Zugpassagiere nehmen sie ihnen nämlich Platz weg beim Essen, denn die untere Etage ist ebenfalls zum Essen gedacht. Je mehr Rollstuhlfahrer hier sitzen, desto weniger Platz bleibt den übrigen Passagieren. Und dann essen sie nicht einmal etwas! Als Rollstuhlfahrer fühlt man sich also vielleicht auch gezwungen, etwas zu konsumieren.
- Dass das Bundesgericht Urteile des Bundesverwaltungsgerichts über den Haufen wirft, kommt regelmässig vor, scheint aber willkürlich und schwächt meiner Meinung nach das Vertrauen in die Gerichte und den Rechtsstaat Schweiz. Wenn die zwei höchsten gerichtlichen Instanzen der Schweiz bei der Anwendung desselben Rechts zu so entgegengesetzten Resultaten kommen, ist das immer komisch. Umso mehr, als das Bundesgericht in Fünferbesetzung entschieden hat, und „nur“ drei der fünf Bundesrichter waren dieser Meinung. Wäre einer dieser drei Richter ein anderer gewesen, oder eher: hätte er überzeugt werden können, dass vielleicht auch mal mehr als drei Rollstuhlfahrer denselben Zug benützen möchten, hätte das Urteil gleich ganz anders lauten können.
Die einzig richtige Lösung wäre gewesen: Eine Verpflichtung der SBB, in jeden einzelnen Wagen ein rollstuhlgängiges WC einzubauen. Es ist schade, dass die SBB das nicht schon freiwillig so machen und immer Gesetze und Richter notwendig sind, damit Leute mit einer Gehbehinderung so leben dürfen wie Leute ohne Gehbehinderung. Hier hat auch das versagt.
ich hätte noch einen Vorschlag an die SBB, betreffend die speziellen Rollstuhl-Toiletten in SBB-Wagen. Es wäre extrem wünschenswert, wenn alle Rollstuhl-Toiletten mit dem international anerkannten EUROKEY-Schloss nachgerüstet würden, damit wirklich nur noch Rollstuhlfahrer diese speziellen Toiletten benützen können. Denn die Toiletten sehen aus meiner eigener Erfahrung (ich bin selbst geburtsbehindert und auf einen Rollstuhl angewiesen) nach einer längeren Zugsreise jeweils katastrophal aus und da viele Rollstuhlfahrer gezwungen sind, sich zu kathetrisieren um Wasser lösen zu können, ist eine bakterielle Blasenentzündung und damit das 10 tägige Schlucken von Antibiotika, nach einem WC-Besuch in einem SBB-Wagen leider schon fast vorprogrammiert. EUROKEY-Schlüssel sind unter Behinderten bekannt und ich gehe davon aus, dass 99% aller Rollstuhlfahrer so einen EUROKEY-Schlüssel besitzen. Den Behinderten würde also mit dieser Massnahme sehr geholfen.