Sich als Journalist über Behinderungen lustig machen geht gar nicht, Herr Kellerhoff

«Die Welt» ist eigentlich eine angesehene, überregionale Tageszeitung in Deutschland. Würde sie sich da in einem Bericht über eine neue Ausstellung in einem Berliner Museum nicht über Massnahmen zur Barrierefreiheit lustig machen.

In seinem Zeitungsbeitrag vom 15. April 2017 schrieb der Leitende Redakteur für Zeit- und Kulturgeschichte Sven Felix Kellerhoff zur Ausstellung:

«Auch haben sie, zum Nutzen aller Besucher, auf vermeintlich „inklusiven“ Schnickschnack wie Bodenleitsysteme und Bildschirme mit zappelnden Gebärdendolmetschern verzichtet.»

Nur weil US-Präsident Donald Trump es vormacht, heisst das noch lange nicht, dass es nun gesellschaftlich erlaubt ist. Nein, es ist NICHT in Ordnung, sich über Behinderungen lustig zu machen.

Massnahmen zur Barrierefreiheit sind kein «Schnickschnack», sondern helfen Menschen mit einer Behinderung, genauso am Leben teilzunehmen wie Menschen ohne Behinderung.

Sven Felix Kellerhoff geht auf Gegenangriff über und antwortet mir: «Tja, vielleicht einmal nachdenken vor dem mailen!» So quasi: Ich habe das alles falsch verstanden. Er sei schon für «Hilfen für Behinderte». Seiner Meinung nach würden aber – und hier wiederholt er sich – «Schnickschnack wie ständig zappelnde Gebärdendolmetscher oder Bodenleitsysteme, die 99 Prozent aller Besucher [korrigierter Schreibfehler] nur verwirren» und seien «überflüssig.» Und: «Die Inklusionsindustrie muss nicht bedient werden.»

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Genau, Herr Kellerhoff. Ihren Ratschlag an mich kann ich nur zurückgeben: «zurücklehnen, nachdenken und dann noch mal schreiben.» Schade, dass Sie das nicht getan haben.

Es ist ja schön, dass er eigentlich schon für «Hilfen für Behinderte» ist. Nur hört sich das in seinem Beitrag genau umgekehrt an. Und genau hier liegt ja das Problem: Viele Leute, die seinen Beitrag lesen, haben vielleicht sowieso schon die Meinung, Behinderte sollen lieber zu Hause bleiben anstatt Dinge machen zu wollen, die alle andern Menschen auch tun. Oder: Die Rollstuhlfahrer stören, wegen ihnen kommt mein Bus nun eine Minute später am Ziel an. Genau diese Leute fühlen sich von Herrn Kellerhoff angesprochen und in ihrer Meinung bestärkt. Ohne zu überlegen, dass jemand ohne Gehbehinderung entschieden hatte, aus Kostengründen beim Kauf des Busses auf die elektrische Rollstuhlrampe zu verichten. Diese Leute denken: Wenn Herr Kellerhoff das in der Zeitung so sagen darf, dürfen wir das auch in der Öffentlichkeit so sagen. Das haben wir ja auch in Amerika bei Trump schon so gesehen. Damit nimmt nicht nur die Antipathie gegenüber Menschen mit einer Behinderung zu, sondern vielleicht sogar verbale oder tätliche Angriffe ihnen gegenüber. Herr Kellerhoff schürt hier klar Hass und eine ablehnende Haltung gegenüber von Menschen mit  Behinderungen. Und genau deswegen ist es nicht in Ordnung, dass sich ein Journalist derart abschätzig äussert und sich über Massnahmen zur Barrierefreiheit lustig macht, Herr Kellerhoff.

«Zurücklehnen, nachdenken und dann noch mal schreiben.» Dazu wurde Herr Kellerhoff dann aber scheinbar doch gezwungen. Heute fehlt der himmeltraurige Passus in seinem Zeitungsbeitrag. Ich glaube kaum, dass er selbst zur Einsicht kam, sondern dass es doch noch Menschen mit Moral und Anstand gibt, die auf höherer Hierarchiestufe für «Die Welt» tätig sind und ihm mal kräftig auf die Finger geklopft haben. Irgendwie ist es aber auch eine Frechheit, dass diese Beleidigung aller Menschen mit einer Behinderung einfach so sang- und klanglos gelöscht wurde, ohne jegliches Wort der Entschuldigung.

Auch Menschen mit einer Behinderungen haben das Recht, Ausstellungen zu besuchen und am öffentlichen Leben teilzunehmen. Sie sind nicht im Weg und stören nicht. Vor allem gab es im Beitrag über die Ausstellung überhaupt keinen Grund, sich plötzlich dermassen feindselig und aggressiv über Massnahmen zur Barrierefreiheit zu äussern. In diesem Sinne rate ich Herrn Kellerhoff also dringend, zukünftig auf seinen eigenen Rat zu hören: «vielleicht einmal nachdenken», bevor er sich wieder abschätzig über Behinderungen lustig macht.

Screenshot des ursprünglichen Zeitungsbeitrags auf der Welt-Webseite:

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Screenshot des abgeänderten Zeitungsbeitrags auf der Welt-Webseite:

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7 Kommentare zu “Sich als Journalist über Behinderungen lustig machen geht gar nicht, Herr Kellerhoff”

  1. […] Blogger und Betreiber des „rollstuhlblog.ch“, Thomas Schneider, veröffentlichte auf seiner Seite eine Antwort des Welt-Autoren auf die Kritik. Darin bekräftigt Kellerhoff seine Sichtweise und […]

  2. Applaus an Thomas, das hast Du gut argumentiert und durch Dein Nichtnachlassen hast du die Korrektur des Artikes bewirkt. Das bestätigt uns doch, dass wir Menschen mit einer Behinderung stetig anstrengen, ja kämpfen müssen für unsere Rechte und Freiheiten. Gruss Urs

  3. Vielen Dank! 🙂

  4. Vielen Dank – unbekannter Weise – auch von mir (eine Frau mit Behinderung, die gerne am Leben teilnimmt) 🙂

  5. Gern geschehen und vielen Dank für die liebe Rückmeldung!

  6. Erst heute habe ich dieses Zitat von Kellerhoff zufällig in Ihrem Blog-Archiv entdeckt. Das ist ja wirklich unerhört und im höchsten Masse behindertenfeindlich.
    Seine Antwort zeigt eine häufige Reaktion wie sie gerade auch gegenüber anderen Minderheiten immer mehr auftritt: „Ich bin keine Rassistin, aber….“ oder „Ich habe nichts gegen Schwule, aber…“ und eben „Ich habe nichts gegen Behinderte, aber…“ Leider sind diese Haltungen nicht mehr nur im rechtsnationalistischen Umfeld zu finden, sondern breiten sich ungehindert aus, und allzu viele JournalistInnen dürfen wieder gegen Minderheiten jeglicher Art hetzen oder sich darüber lustig machen.
    Danke, dass Sie sich dagegen zur Wehr gesetzt haben!

  7. […] bezeichnet werden (BILD), Barrierefreiheit im Museum als “inklusiver Schnickschnack” (Welt) abgetan wird, gibt es noch eine Menge zu […]

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